Bötschi fragt, Teil 2Bettina Disler, Paarberaterin: «Das ist das Geheimnis einer langjährigen Beziehung»
Von Bruno Bötschi
19.11.2020
Bettina Disler weiss, was Beziehungen guttut. Die Zürcher Paar- und Sexualberaterin über das Fremdgehen, Probleme mit der Sexualität – und was das Reizvolle an einer langjährigen Partnerschaft ist.
Der erste Teil des Gespräches mit Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler erschien am Dienstag, 17. November, auf «blue News».
Frau Disler, ist die Erwartung, Liebe, Freundschaft und Sex dauerhaft in einer Zweisamkeit zu vereinen, nicht ohnehin eine Überforderung?
Nein, nein.
Paartherapeuten sagen, dass bis zu 70 Prozent der Paare, die eine Beratung in Anspruch nehmen, nach der Geburt eines Babys in Beziehungsschwierigkeiten geraten. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Meine Erfahrung ist, dass sich die Probleme sehr oft nach dem zweiten Kind verstärken. Das heisst, nach dem ersten Kind fängt es bereits an zu kriseln und das wird dann nach dem zweiten Kind noch schlimmer.
Müssen alle Paare, die zu Ihnen kommen, das Buch lesen?
Nein. Das Buch habe ich in erster Linie für andere Therapeutinnen und Therapeuten geschrieben. Einige Paare, die bei mir waren, haben sich das Buch gekauft, weil ihnen die Methode geholfen hat, ihre Beziehung besser zu verstehen.
Ein Tipp darin lautet: Um die Lust auf die Partnerin, den Partner zu erhöhen, solle man anonyme E-Mail-Konten eröffnen und sich gegenseitig als Objekt der Begierde wahrnehmen.
Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg
«Blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Die Idee zu dieser Hausaufgabe stammt von der US-amerikanischen Paartherapeutin Ester Perel. Es geht dabei darum, explizit miteinander über sexuelle Fantasien zu sprechen. Darin sind viele Menschen ungeübt. Vielen fällt es einfacher, wenn sie dafür in eine andere Rolle schlüpfen können und es sozusagen in einer Parallelwelt tun dürfen.
Legt das Paar danach diese E-Mail-Kommunikation Ihnen vor?
Nein – aber wir sprechen darüber. Diese Übung soll die Hemmschwelle mindern, um mit dem Gegenüber auf eine spielerische Art Neues zu wagen.
Wie bleibt eine langjährige Partnerschaft reizvoll?
Wenn beide Partner immer wieder an sich selber arbeiten und somit füreinander interessant bleiben, sich also gegenseitig aufs Neue inspirieren und herausfordern.
Ehen, die mehrere Jahrzehnte dauern, sind heutzutage eher Ausnahmefälle. Warum?
Interessanterweise kommen viele Paare zu mir, die zwei, drei Jahrzehnte zusammen sind.
Glauben Sie persönlich an das ‹gemeinsam glücklich bis ans Lebensende›?
Diese Aussage zielt in die Zukunft. Wir Menschen können aber nicht wissen, geschweige denn kontrollieren, was die Zukunft bringen wird.
So grundsätzlich: Können Paare besser über Sex als Geld reden?
Ich staune immer wieder, wie viele Paare Schwierigkeiten haben, miteinander über Sex zu sprechen. Das Thema Geld scheint weniger ein Problem zu sein …
… weil davon viele Schweizerinnen und Schweizer sowieso genug haben.
In Zürich ist das wohl eher der Fall.
Halten Sie die Geheimnislosigkeit für ein Gebot der Ehe oder finden Sie, dass gerade das Geheimnis, das zwei Menschen voreinander haben, sie verbindet?
Nicht alles einander zu erzählen, ist etwas anderes, als bewusst Geheimnisse voreinander zu haben. Sexuelle Fantasien zum Beispiel halten viele vor dem Gegenüber geheim und das kann durchaus die Anziehung zueinander verstärken.
Ist eine Affäre ein erlaubtes Geheimnis?
Es kommt darauf an, was die Partner vereinbart haben. Sagt jemand: «Wenn es passiert, will ich es einfach nicht wissen», gibt er seinem Gegenüber indirekt die Erlaubnis, ein Geheimnis vor ihm haben zu dürfen. Eine länger parallel gelebte Affäre, die irgendwann auffliegt, zerstört in den meisten Fällen sehr viel. Lügen haben kurze Beine, so viel kann ich dazu sagen, das sehe ich in meinem Praxisalltag nicht selten.
Ist Monogamie, wie wir sie heute leben, ein unrealistisches Konzept?
Grundsätzlich ist jedes Beziehungsmodell realistisch. Ich bin ein Fan davon, dass man das Leben in Phasen denkt, das heisst, dass man das bestehende Modell bei Bedarf mit dem Partner jederzeit neu verhandeln kann. Wie siehst du das jetzt? Was sind deine Wünsche? Momentan sehe ich eine Tendenz, dass das polyamore Beziehungsmodell vermehrt verhandelt wird. Immer mehr Menschen sind dafür offen, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben. Es kommen aber auch vermehrt Menschen zu mir in die Beratung, die mir von ihren problematischen polyamoren Verhältnissen berichten.
Was ist mit demjenigen, der betrogen hat – soll er gestehen oder eher nicht?
Fremdgehen ist immer eine bewusste Entscheidung und dafür sollte man auch die Verantwortung übernehmen. Das bedeutet, dass man mit dem schlechten Gewissen selber fertig werden muss. Will ich wegen eines einmaligen Ausrutschers meine Beziehung aufs Spiel setzen? Die Chance besteht, dass nach einem Geständnis der Schaden gross ist. Bedeutet allerdings die Affäre mehr als nur einen Ausrutscher, dann ist es ratsam, sich mit den Beweggründen genauer auseinanderzusetzen und das Gespräch mit dem Partner zu suchen.
Wie überwindet man als Paar einen solchen Vertrauensbruch?
Es ist meist sehr anspruchsvoll, nach einem solchen Erdbeben das Vertrauen neu und dauerhaft aufzubauen. Ich bin immer wieder von Neuem beeindruckt von Paaren, die durch so einen Prozess gegangen sind.
Wie merke ich, dass die eigene Beziehung sich dem Ende zuneigt?
Wenn das Negative überwiegt. Mir fällt auf, dass Menschen schon frühzeitig spüren, dass etwas nicht mehr gut ist, das aber über längere Zeit verdrängen.
(lacht) Nein. Darauf gekommen bin ich, weil gelegentlich ehemalige Klientinnen und Klienten mit ihrer neuen Liebe zu mir in die Beratung kommen und dann sagen: «Alles was ich bei Frau Disler gelernt habe, musst du auch wissen. Denn wenn du das weisst, können wir in Zukunft problematische Situationen gut zusammen meistern.»
Kaum habe ich mich in jemanden neu verliebt, soll ich dem Gegenüber sagen: ‹Komm, wir gehen zu Frau Disler in eine Paarberatung.› Klingt nicht gerade romantisch.
Das sehe ich total anders. Ein Mensch, der frisch verliebt ist, wird antworten: ‹Wow, coole Idee›. Ich bin absolut überzeugt davon, der beste Zeitpunkt für eine Paarberatung ist am Anfang einer Beziehung. Nicht umsonst bieten die Kirchen schon seit Jahren Ehevorbereitungskurse an. Ich habe mich während meines Studiums mit deren Angebot auseinandergesetzt und untersuchte unter anderem, welche Präventionsarbeit nötig ist, damit Beziehungen besser gelingen.
Zu Ihnen kommen also Paare, die sich erst seit zwei Wochen kennen.
Es kommen Frischverliebte zu mir, die sagen: ‹Wir möchten das einmal ausprobieren.› Das Schöne an solchen Beratungsstunden ist ja, dass diese Paare voll gegenseitigem Interesse sind und …
… und Sie nehmen Ihnen dann die rosarote Brille ab und konfrontieren Sie mit der brutalen Wirklichkeit, oder?
Im Gegenteil. Verliebte sehen die Skills, die sie bei mir lernen, als Geschenk. Da sie in dieser Phase sehr motiviert sind, das Gegenüber besser kennenzulernen, ist dies der perfekte Zeitpunkt, die Neugier am Unterschied zu stärken. Der kürzlich verstorbene US-amerikanische Paar- und Sexualtherapeut David Schnarch sagte: ‹Marriage is a people growing machine.› Er meinte damit, dass in einer Beziehung beide Partner gegenseitig an ihren Unterschieden wachsen. Über das Anders-Sein des Partners begegnet man sich selbst neu und das setzt automatisch eine Entwicklung in Gang. Mit dem ‹Starter Kit für gelingende Beziehungen› lernen die Paare, wie sie mit diesen Unterschieden konstruktiv umgehen können, ohne dabei Kompromisse machen zu müssen. Das ist cool und alles andere als brutal.
Verliebt sein ist ein pathologischer Zustand. Wahr oder nicht?
Eher ein physiologischer Zustand. Das Schöne am Verliebtsein ist ja die Ausschüttung von Glückshormonen. Schaffen es zwei Menschen, sich auch nach mehreren Jahren immer wieder neu zu begegnen, kommt es dabei ebenfalls zu solchen Ausschüttungen.
Was halten Sie von dem Rat: Heirate nur einen Menschen, an dessen Macken und Ticks du dich gewöhnen kannst, denn ändern wird sie oder er sich nie?
(lacht) Warum überhaupt heiraten?
Wie verändert die Ehe eine Partnerschaft?
Das kommt auf den einzelnen Menschen an. Wenn an eine Ehe zu hohe Erwartungen gestellt werden, besteht die Chance enttäuscht zu werden. Oftmals ändert sich aber auch nicht viel an der Partnerschaft.
Was denken Sie, wie haben das Coronavirus und die diversen Lockdowns das Paar- respektive Sexualleben der Schweizerinnen und Schweizer verändert?
In den letzten Wochen habe ich einige Interviews zum Thema ‹Corona und Partnerschaft› gegeben. Aufgefallen ist mir dabei, dass die Fragestellung meistens negativ besetzt war. Dabei erlebte ich genau das Gegenteil in meiner Praxis. Viele Paare sind sich in den letzten Monaten wieder nähergekommen. Während der Beratungen sind in letzter Zeit vermehrt Sätze gefallen wie ‹Endlich haben wir mal Zeit füreinander› oder ‹Oh, wir haben viel mehr Sex als vorher›.
Was glauben Sie: Wird es bald viele Corona-Babys geben?
Das ist eher eine Frage für den Storch.
Braucht es eigentlich Sex, damit eine Partnerschaft viele Jahre dauern kann?
Nein. Es gibt asexuelle Paare, die seit Jahren ohne Erotik zusammen sind. Und es gibt Paare, die den Sex outgesourct haben.
Was raten Sie einem Paar, das zu Ihnen in die Praxis kommt, weil sein Sexleben eingeschlafen ist?
Raten tue ich nichts. Ich frage das Paar zuerst, wie es dazu kam, dass es keinen Sex mehr zusammen hat.
Ist es ratsam, die Beziehung zu öffnen und das Sexleben auszulagern?
Vorausgesetzt, dass die Beziehung stabil ist und beide damit einverstanden sind.
Wenn beide nicht mehr bereit sind, miteinander ihre Wünsche zu verhandeln.
Ist eine Therapie auch dann erfolgreich, wenn das Paar sich trennt?
Ja – denn wer will schon mit jemanden zusammenbleiben, der keine Beziehung mit einem führen will.
Was lernt man aus gescheiterten Beziehungen?
Im besten Fall lernt man sehr viel über sich selbst und schärft damit das Beziehungsbwusstsein.
Wie macht man richtig Schluss?
Die Art und Weise sollte respektvoll sein. Wichtig ist, dass man mit dem Gegenüber auf Augenhöhe kommuniziert und sagt, wie es um einem steht und dass man sich trennen möchte.
Braucht es ein Trennungsgespräch oder kann man sich auch einfach davonschleichen?
Wenn sich jemand einfach davonschleicht, sagt das viel über den Charakter dieser Person aus.
So grundsätzlich: Wird heute während einer Scheidung eigentlich weniger Geschirr zerschlagen als früher?
Das weiss ich nicht.
Die Schweizer Scheidungsrate liegt bei über 50 Prozent. Wie erklären Sie sich das?
Die Scheidung ist heute zu einer valablen Möglichkeit geworden. Früher waren die Frauen viel abhängiger von den Männern. Eine Scheidung kam sehr oft aus finanziellen Gründen nicht infrage.
Wieso schreckt die hohe Scheidungsrate offenbar nicht vor einer Hochzeit ab. Ihre Erklärung dafür?
Das Ja-Sagen vor andern hat nach wie vor viel Symbolkraft.
Ist die Ehe ein Auslaufmodell?
Weiter.
Der erste Teil des Gespräches mit Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler kann unter diesem Link abgerufen werden.
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