Verehrt oder verachtet Darum ist Robert Fico beliebt und polarisiert zugleich

dpa

16.5.2024 - 23:15

Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico schwebt der Politiker weiter in Lebensgefahr.
Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico schwebt der Politiker weiter in Lebensgefahr.
Archivbild: dpa

Robert Fico wird von einem Rentner niedergeschossen. Nach einer OP ist sein Zustand weiter kritisch. Wie konnte es so weit kommen – und wer ist der slowakische Regierungschef eigentlich?

16.5.2024 - 23:15

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das Attentat auf Fico löste auch international Bestürzung aus.
  • Seit fast dreissig Jahren ist Robert Fico einer der beliebtesten, aber auch polarisierendsten Politiker der Slowakei.
  • Indem er einst die wuchernde Korruption der Dzurinda-Regierung anprangerte, wurde er für Jahre zum populärsten Politiker und übernahm ab 2006 erstmals selbst die Führung einer Regierung.

Seit fast dreissig Jahren ist Robert Fico einer der beliebtesten, aber auch polarisierendsten Politiker der Slowakei. Während ihn in der liberalen Hauptstadt Bratislava und in anderen grösseren Städten das wohlhabende Bildungsbürgertum verachtet, verehren ihn die meisten Bewohner der wirtschaftlich benachteiligten Randregionen. Das spiegelt sich regelmässig auch in den Ergebnissen von Parlamentswahlen wider, in denen sich das Land in zwei vollkommen unterschiedlich gefärbte Teile spaltet.

Bestürzung in der Slowakei nach Anschlag auf Premier Fico

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Eine Augenzeugin berichtete über den Augenblick, als die Schüsse fielen. Die politische Führung des Landes hat zu Ruhe und Mässigung aufgerufen.

16.05.2024

Ficos politischer Aufstieg begann in den 1990er-Jahren als innerparteilicher Rebell der von ehemaligen Reformkommunisten gegründeten «Partei der Demokratischen Linken» (SDL). Als die Linkspartei 1998 in eine Koalition mit konservativen und liberalen Parteien unter Führung des Christdemokraten Mikulas Dzurinda eintrat, gründete Fico seine eigene Partei Smer (Richtung).

Indem er die wuchernde Korruption der Dzurinda-Regierung anprangerte, wurde er für Jahre zum populärsten Politiker und übernahm ab 2006 erstmals selbst die Führung einer Regierung. Seither konnten ihn seine Gegner nur in zwei kurzen Phasen 2010 bis 2012 und 2018 bis 2023 vorübergehend von der Macht verdrängen. Seine lange Regierungszeit bewirkte aber, dass sich ausgerechnet um den einstigen Korruptionsbekämpfer immer mehr Trittbrettfahrer und zwielichtige Unternehmer scharrten, die an der Macht mitmischen wollten. So wurde Fico selbst zu einer Symbolfigur für Korruptionsfilz.

Seit Dezember Massenproteste gegen Regierung

Bei den von der liberalen Opposition, die bei der Parlamentswahl im Herbst knapp unterlegen war, schon seit Dezember organisierten Massenprotesten gegen die Regierung riefen die Teilnehmenden regelmässig in Sprechchören: «Fico ins Gefängnis!» und «Wir wollen Fico nicht!». Bei allen Demonstrationen gegen die Regierung waren Transparente mit der Aufschrift «Mafia!» zu sehen. Dieses Schlagwort ruft hartnäckig den juristisch längst widerlegten Vorwurf in Erinnerung, der Journalistenmord von 2018 sei von einer Verschwörung italienischer Mafia-Clans mit Regierungspolitikern eingefädelt worden.

Teile des Regierungslagers warfen der Opposition und den mit ihr verbündeten liberalen Medien auch deshalb immer wieder vor, eine Art Putschversuch gegen die legitime Regierung zu planen, wie es Fico, aber auch andere Regierungspolitiker immer wieder formulierten. Auch am Mittwochabend wäre in Bratislava eine weitere Massenkundgebung gegen die Regierung geplant gewesen. Hauptsächlich wäre es dabei um den umstrittenen Plan von Kulturministerin Martina Simkovicova gegangen, die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RTVS aufzulösen und durch ein neues Unternehmen zu ersetzen.

Aus der Sicht der Opposition, aber auch der RTVS-Mitarbeiter und Oppositionsmedien sollte damit ein willfähriges Propagandaorgan der Regierung geschaffen werden. Oder wie RTVS-Redakteur Miro Frindt der dpa sagte: «Es geht der Koalition um die Kontrolle der Nachrichtensendungen». Eine Art Hofberichterstattung sollte die in Umfragen als unabhängig und vertrauenswürdig bewertete bisherige RTVS-Berichterstattung ersetzen.

Journalistenmord erschüttert Land – Fico tritt zurück

2018 erschütterte der Doppelmord am Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova seine Machtbasis. Im Zuge der Mordermittlungen enthüllten die Oppositionsmedien immer mehr an Korruptionsverdacht, der bis in höchste Regierungsämter hineinreichte. Unter dem Druck von Massenkundgebungen musste Fico zurücktreten. Seither beschwert er sich, die Opposition und ihnen nahestehene Medien hätten eine Art Putsch organisiert, indem sie den Eindruck erweckten, seine Regierung hätte mit dem Journalistenmord direkt zu tun.

Seit der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in der Ukraine, die Fico stets verurteilt hatte, titulieren ihn seine Gegner als «prorussischen» Politiker nach dem Vorbild von Ungarns Viktor Orban. Tatsächlich klopft Fico zwar immer wieder kritische Sprüche gegen die «korrupte» ukrainische Führung, trägt aber auf EU-Ebene alle Sanktionen gegen Russland widerspruchslos mit.

Zustand von Fico weiter sehr ernst

Für den bei einem Attentat lebensgefährlich verletzten slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico gibt es laut dem designierten neuen Staatspräsidenten offenbar keine Entwarnung. Er habe zwar im Krankenhaus in Banska Bystrica mit Fico gesprochen, doch sei sein Zustand weiterhin sehr ernst, sagte Peter Pellegrini am Donnerstag. Fico war am Mittwoch vor einem Kulturzentrum in der Stadt Handlová mit mehreren Schüssen niedergestreckt worden. Er wurde im Unterleib getroffen und stundenlang operiert.

Slowakischer Regierungschef Fico nach Attentat weiter in Lebensgefahr

Slowakischer Regierungschef Fico nach Attentat weiter in Lebensgefahr

Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico schwebt der Politiker weiter in Lebensgefahr. Den Ärzten gelang es zwar, den 59-Jährigen zu stabilisieren, sein Zustand war am Donnerstag aber weiter ernst.

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Gegen den mutmasslichen Täter wurde ein Strafverfahren wegen eines Attentatsversuchs auf den Ministerpräsidenten eingeleitet. Nach Behördenangaben handelte es sich um einen «einsamen Wolf», der aus einem politischen Motiv gehandelt habe.

Spitzenpolitiker riefen die Bevölkerung in der polarisierten Slowakei zur Ruhe auf. Die scheidende Präsidentin Zuzana Caputova und ihr gewählter Nachfolger Pellegrini mahnten gemeinsam zu Mässigung und zur Absage an Gewalt. Einige Regierungsmitglieder warfen den slowakischen Medien indes vor, mit ihrer Berichterstattung eine hitzige politische Atmosphäre begünstigt zu haben.

Präsidentin ruft zur Mässigung auf

Obwohl der liberale Oppositionsführer und Chef der grössten liberalen Oppositionspartei «Progressive Slowakei» (PS) diesen Kampf weiterhin für wichtig und legitim hält, sagte er nach dem Attentat spontan die für den Abend geplante Protestkundgebung in Bratislava ab. Auch andere Oppositionsparteien stimmten zu, vorerst keine grossen politischen Aktionen zu organisieren.

Die der Opposition näher als der Regierung stehende und noch bis 15. Juni amtierende Präsidentin Zuzana Caputova rief gemeinsam mit ihrem bereits gewählten Nachfolger, dem zum Regierungslager gehörenden Sozialdemokraten Peter Pellegrini zur Mässigung auf. Auch der Innen- und der Verteidigungsminister appelierten aus dem Krankenhaus in Banska Bystrica, in dem der verletzte Fico behandelt wurde, zur «Beruhigung» des polarisierten gesellschaftlichen Klimas auf. Insbesondere sollten alle Parteien auf Attacken in sozialen Medien verzichten, da diese eine Stimmung der Gewalt beförderten, sagte Innenminister Matus Sutaj Estok.

dpa