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Salomé Balthus und Florian Havemann «Die meisten Menschen haben keinen guten Sex»
Von Bruno Bötschi
20.4.2024
Sie ist Autorin und Prostituierte. Er ist Künstler und DDR-Dissident. Ein Gespräch mit Hanna Lakomy alias Salomé Balthus und ihrem Freund Florian Havemann über ihren gemeinsamen Roman, die Liebe und das Sexgewerbe.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Hanna Lakomy (40) und Florian Havemann (72) sind seit über 15 Jahren ein Paar. Jetzt haben sie zusammen den Roman «Begabung usw.» geschrieben.
- Sie ist Autorin und wurde unter dem Pseudonym Salomé Balthus Deutschlands bekannteste Prostituierte. Er ist Künstler und DDR-Dissident.
- «Ich möchte mich nicht häufiger als dreimal pro Woche auf einen fremden Menschen einlassen und mit ihm schlafen», sagt Lakomy.
- «Wir scheuen die Provokation nicht. Sie ist aber nicht unser erstes Ziel», so Havemann.
Frau Lakomy, haben Sie ein Rezept für ein glückliches Leben?
Lakomy: Nein.
Und Sie, Herr Havemann?
Havemann: Es war nicht mein Plan, ein glückliches Leben zu führen.
Lakomy: Ich glaube nicht, dass der Sinn des Lebens das Glück ist. Jedenfalls nicht für uns beide.
Schriftsteller Hermann Hesse soll einmal gesagt haben: «Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich.» Wahr oder nicht?
Havemann: Ja, ja, Hermann Hesse …
Lakomy: Dankeschön für dieses Zitat.
Mir gefällt der Satz der 1973 verstorbenen US-amerikanischen Schriftstellerin Pearl S. Buck auch besser: «Viele Menschen versäumen das kleine Glück, während sie auf das Grosse vergebens warten.»
Havemann: Das hat sie gut gesagt.
Lakomy: Kann man so sehen.
Havemann: Hanna und ich sind nicht geeignet für Sprüche. Wir produzieren auch keine. In den Wagen der Berliner U-Bahn wird auf den Bildschirmen das Zitat des Tages eingeblendet. Ich hoffe stark, dass nie ein Spruch von mir dort erscheint.
Lakomy: Was, du willst nicht ins U-Bahn-Fernsehen (lacht)?
Havemann: Nein, ich möchte nichts produzieren, das dort vervielfältigt wird. Wir sind mehr für die komplexen Themen zuständig.
Lakomy: Lange Texte.
Wie glücklich waren Sie, als Sie das erste gedruckte Exemplar Ihres Romans «Begabung usw.», den Sie gemeinsam geschrieben haben, in Händen hielten?
Lakomy: Das Buch heisst «Begabung usw.» nicht «Begabungen usw.» …
Havemann: … das hat Herr Bötschi doch auch so gesagt …
Lakomy: Ach so, Entschuldigung … natürlich war ich in diesem Moment glücklich und spürte Freude. Gleichzeitig fragten wir uns: Wie bringen wir das Buch in die Läden? Wie kommt es an den Mann? Als der Roman gedruckt vor uns lag, sahen wir viel Arbeit.
Welches ist Ihre grösste Begabung?
Lakomy: Ich glaube, ich kann Menschen …
Havemann: … sagen wir so: Hanna ist vieles, aber sie ist vor allem intelligent. Das ist ihre grösste Begabung. Natürlich kann Hanna auch Menschen umschmeicheln, nette Sachen sagen und ihr Gegenüber träumen lassen. Nur fällt mir das nicht so auf, weil ich kein Opfer dieser Begabungen bin. Sie muss diese aber offensichtlich besitzen.
Lakomy: Es scheint so (lacht). Floris grösste Begabung ist, dass er so wie das Kind im Märchen «Des Kaisers neue Kleider» ist. Dieses zeigt irgendwann auf den Kaiser und schreit: «Der hat ja gar nichts an.» Flori ist unbeeindruckt von Autoritäten und sagt Dinge, die andere sich nicht trauen oder gar nicht darauf kommen würden. Wenn ich jemanden entlarve, ist die Person danach dauerhaft beschädigt. Flori dagegen tut dies mit Leichtigkeit – bis von einer Person nichts mehr übrig ist. Er ist ein Zerstäuber.
Havemann: Dem habe ich nichts anzufügen.
Frau Lakomy, wieso beschädigen Sie?
Lakomy: Manche Dinge sind es einfach wert, zugrunde zu gehen.
Havemann: Ich habe hohe Ansprüche.
Lakomy: Ach, Herr Bötschi, der Mann kommt aus der DDR. Wissen Sie, Flori sagte einmal zu mir, er war ja auch ein bisschen mein Lehrer oder ist es heute noch, er sagte also zu mir, nachdem ich etwas geschrieben hatte, das nicht meinem Niveau entsprach: Das ist nur Scheisse. Es ist fast so scheisse wie Honoré de Balzac.
Frau Lakomy, warum wollten Sie unbedingt einen Roman schreiben?
Havemann: Hanna wollte das gar nicht. Aber es gab das Angebot eines grossen Verlages, einen Roman zu schreiben und zu veröffentlichen. Hanna hatte bereits früher mit einem Schreibprojekt angefangen, das sie jedoch nicht zu Ende brachte. Das passiert jungen Menschen oft, die Kunst machen. Ich finde solche Sachen wichtig, weil man dabei viel lernt – ob man so ein Projekt auch bewältigen kann, ist eine andere Frage.
Lakomy: Wissen Sie, mein Problem ist nicht, dass ich Romane schreiben will, sondern dass ich Romane schreiben kann. Und weil ich es kann und manche Menschen dies wissen, muss ich sie schreiben. Es ist also mehr eine Pflichterfüllung.
Havemann: Ich sagte Hanna damals: Nimm das Angebot des Verlages an und schreib einen frechen Fräulein-Roman mit Tiefgang …
Lakomy: … schön bösartig …
Havemann: … und so hat sie mit dem Buch angefangen. Ich sagte noch, weil sie gerade so beschäftigt war, ich würde ihr beim Schreiben helfen.
Lakomy: In der Folge haben wir uns die Arbeit nicht irgendwie aufgeteilt, sondern arbeiteten dialogisch.
Wirklich wahr, dass Sie den Roman «Begabung usw.» teilweise vierhändig am Computer geschrieben haben?
Lakomy: Dialoge bieten sich an, vierhändig geschrieben zu werden.
Havemann: Es macht unmöglich viel Spass, wenn du nicht weisst, was der andere als Nächstes schreibt.
Frau Lakomy, im Psychologie-Podcast «Verrückt» von Jakob Hein sagten Sie vor vier Jahren, Sie hätten schon als Siebenjährige davon geträumt, Schriftstellerin zu werden: Was faszinierte Sie damals an dem Beruf respektive am Schreiben?
Lakomy: Ich mochte Bücher, war fasziniert von Gedichten und hatte auch selber schon welche geschrieben. Das Schreiben gelang mir überraschend leicht und Erwachsene stellten immer wieder fest, dass meine Texte etwas Besonderes seien. Damals wusste ich noch nicht, dass anderen das Schreiben nicht leichtfällt.
Sie brachten den Roman «Begabung usw.» im Eigenverlag heraus. Wieso erscheint der erste Roman der «bekanntesten Prostituierten Deutschlands» – laut den Medien – nicht in einem grossen Buchverlag?
Havemann: «Freunde & Friends» ist kein Eigenverlag. Wenn schon, ist es ein selbstloser Verlag. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Bücher und Texte zu veröffentlichen, die andere Verlage nicht publizieren – sei es, weil der Autor zu unbequem ist oder weil es einmal Ärger mit seinen Texten gab.
Lakomy: Es ist ein Verlag von Autoren für Autoren.
Havemann: Ich hatte in der Vergangenheit schon öfters Ärger mit Verlagen. Als wir dann unseren gemeinsamen Roman geschrieben haben, ging das wieder los. Nachdem ich einem Mäzen, der meine Bilder mag, davon erzählte, meinte er: Komm, wir gründen zusammen einen Verlag.
In Ihrem Roman wird die autofiktionale Geschichte erzählt, wie eine Frau zur Prostituierten wird. Ihr erster Sugardaddy ist ebenfalls Thema. Als ich das Buch las, fragte ich mich: Wieso haben Sie, Herr Havemann, bei diesem Projekt mitgemacht?
Lakomy: (Lacht)
Havemann: Hanna ist in unserem Buch für das Auto zuständig, also, dass sich die Geschichte vorwärtsbewegt, ich für die Fiktion. Ich schreibe sie aus der Sicht einer alten weissen Lesbe. Diese Isolde ist eine verschrobene Webkünstlerin …
Lakomy: … du musst schon sagen, was sie für eine Webkünstlerin ist. Sie ist monomotivisch tätig.
Havemann: Sie produziert ausschliesslich Rauten.
Lakomy: Die Raute ist das Symbol für … ach, das sollen die Leser selber herausfinden.
Havemann: Das Schreiben des Buches machte mir viel Spass. 1971, als ich von der DDR in die BRD geflohen bin, war ich 19 Jahre alt. Als ich damals in den Westen kam, stellte ich rasch fest, dass das Thema «Emanzipation der Frau» nach wie vor für grosse Diskussionen sorgte – ganz im Gegensatz zur DDR.
Entschuldigung, der Hintergrund meiner Frage ist ein anderer: Im September 2023 sagten Sie, Herr Havemann, im Interview mit dem «NZZ am Sonntag Magazin»: «Manchmal erzählt Hanna mir davon (Anmerkung der Redaktion: Dates mit ihren Kunden), aber mich langweilt es schon beim ersten Satz. Und Beschwerden möchte ich schon gar keine hören.» Wieso schrieben Sie jetzt über diese langweilige Sache sogar einen Roman?
Havemann: Das zu erklären, ist kompliziert.
Nur zu.
Havemann: Mir fehlt das Verständnis für Männer, die sich auf Prostituierte einlassen.
Lakomy: Gott sei Dank brauchen wir das Verständnis von Herrn Havemann nicht (lacht).
Havemann: Stimmt, ich muss es nicht verstehen. Ich denke, für uns als Paar ist es sogar besser, wenn ich es nicht verstehe, also, wenn Hanna etwas hat, bei dem ich nicht mitreden kann.
Lakomy: Es gibt auch Dinge im Leben von Flori, die ich, auch wenn ich mich darum bemühe, nie verstehen werde. Florian sass aus politischen Gründen im Gefängnis. Ich war noch nie im Gefängnis, kann also nicht wissen, wie es ist, in einer Zelle eingesperrt zu sein. Ich kann zwar versuchen, mich in diese Lage hineinzuversetzen, aber wirklich verstehen kann ich diese Situation nicht. Mit anderen Prostituierten diskutiere ich regelmässig darüber, dass Menschen, die unserem Job nicht nachgehen, nicht verstehen können, warum wir das tun, was wir tun. Sie wissen nicht, wie es ist, als Hure zu arbeiten. Unsere Tätigkeit wird ihnen immer rätselhaft bleiben.
Havemann: Isolde, aus deren Sicht ich im Roman schreibe, versteht auch nicht, warum Hanna als Prostituierte arbeitet.
Im Podcast «Anderssein» sagten Sie, Frau Lakomy, vor zwei Jahren den Satz: «Ich bin ja nicht anders, weil ich Hure bin. Ich bin nicht eines Morgens aufgewacht und habe gesagt: ‹Ach, jetzt werde ich mal Hure.› Ich bin Hure, weil ich mich von vornherein anders gefühlt habe.» Können Sie das «anders» bitte noch etwas konkreter beschreiben?
Lakomy: Ich weiss nicht, wie sich andere Menschen fühlen. Deshalb ist das möglicherweise eine völlig absurde Behauptung von mir. Ich habe jedoch Grund zur Annahme, dass andere Menschen anders fühlen als ich, weil ich oft nicht verstanden werde. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die Ehefrauen meiner Kunden es mir so furchtbar übelnehmen, dass ich mit ihren Männern schlafe. Dabei tue ich diesen Männern doch etwas Gutes und bringen ihnen vielleicht sogar noch Dinge bei, die sie zu Hause später nachmachen können. Ich nehme den Frauen also nichts weg. Und sie werden ja auch nicht böse, wenn ihre Männer sonst für ein schönes Erlebnis Geld ausgeben und danach glücklich sind. Deshalb glaube ich, dass es charakterliche Unterschiede zwischen anderen Menschen und mir gibt – insbesondere zwischen anderen Frauen und mir.
Eifersucht ist ein Gefühl, das Sie demnach nicht kennen?
Lakomy: Ich kenne dieses Gefühl nur aus der Perspektive von jemandem, auf den andere Menschen eifersüchtig sind. Als Prostituierte bin ich nicht Inhaberin von Eifersucht, sondern oft das Opfer.
Ich denke, Frau Lakomy, als Fachfrau sollten Sie das wissen: Wie kann ein Mensch Liebe und Sex trennen?
Havemann: Ich kann das auch nicht. Wer erfahren soll, wie es bei Hanna dazu gekommen ist, sollte das Buch lesen.
Lakomy: Auch ich konnte Liebe und Sex nicht von Natur aus trennen. Dass dem heute so ist, hat mir gewissermassen das Leben beigebracht.
Im Psychologie-Podcast «Verrückt» erklärten Sie, Frau Lakomy, vor vier Jahren Ihren Einstieg ins Sexgewerbe so: «Ich bin Prostituierte geworden, um einen Nebenjob zu haben, der mir genügend Freizeit lässt, um zu schreiben, und ich gleichzeitig interessante Erfahrungen machen kann.» Aber es gibt doch auch noch andere Tätigkeiten, die spannend sind und mit denen ein Mensch gutes Geld verdienen kann.
Lakomy: Ich bin ganz Ohr. Sagen Sie mir bitte, welchen Tätigkeiten kann eine Studentin der Geisteswissenschaften nachgehen und dabei 1000 Euro in der Stunde verdienen?
Sie könnten traden, also Aktien kaufen und verkaufen.
Lakomy: Wie hätte ich das tun sollen? Ich war jung und hatte absolut kein Faible für Zahlen. In welche Aktien hätte ich denn investieren sollen mit den zehn Euro auf meinem Bankkonto (lacht)?
Anderer Vorschlag: Sie hätten als Model arbeiten können.
Lakomy: Ich bitte Sie: Mit 1,58 Meter Körpergrösse bin ich dafür viel zu klein. Okay, ich arbeitete ab und an als Aktmodell. Nur ist das leider sehr schlecht bezahlt. Was ich mir damals echt überlegt habe: in Berlin als Wohnungsmaklerin tätig zu werden. Dieser Beruf war mir aber dann doch zu anrüchig.
Wieso das?
Havemann: In Berlin werden horrende Mieten verlangt …
Lakomy: … und dann diese hohen Maklerprovisionen.
Havemann: Berlin ist eine Grossstadt mit zu wenig Wohnungen. Das zieht die Geier an.
Lakomy: Ich hätte die beiden Jobs natürlich verbinden können. Sprich: Ich zeige einem Interessenten eine Wohnung und schlafe darin mit ihm (lacht).
Havemann: In Berlin gibt es viele Studentinnen und auch junge Künstlerinnen, welche die Prostitution als Möglichkeit des Gelderwerbes nutzen. Hanna bekommt nicht umsonst regelmässig Bewerbungen von Frauen …
Lakomy: … letzte Woche waren es allein schon drei …
Havemann: … die in ihrer Escortagentur arbeiten wollen. Sie brauchen Hanna also nicht als Individuum anzusprechen. Es ist ein Phänomen unserer Zeit.
Ein Phänomen ist auch, dass Prostituierte stigmatisiert werden.
Lakomy: Das ist nicht erst heute so.
Havemann: Dazu muss unbedingt gesagt werden: Es gibt den Bereich der Elendsprostitution, wo die Zustände komplett anders sind als im Bereich der Escortagenturen, wo Hanna arbeitet. Klar ist auch, dass Hanna niemals auf dem Strassenstrich arbeiten würde.
Lakomy: Mit der Gründung meiner Escortagentur habe ich meinen Arbeitsplatz selber organisiert, nachdem ich davor Erfahrungen in diversen Agenturen gemacht hatte. Ich habe mich immer so abgesichert, dass ich nicht erpressbar bin und keine Probleme mit dem Finanzamt bekomme. Ich achte auch sehr auf meine Gesundheit, lasse die Finger von Drogen. Ich vernetzte mich früh mit anderen Kolleginnen und habe im Vorfeld der Gründung auch gewerkschaftliche Organisationen aufgesucht. So ist es mir gelungen, einen Schutzraum für Frauen aus meinem Berufsfeld zu schaffen. Ich wünschte, ich hätte beim Einstieg in die Branche die gleichen Arbeitsbedingungen vorgefunden.
Nicht alle Prostituierten können ihre Arbeitsbedingungen so organisieren wie Sie. In aller Kürze bitte: Was müsste politisch passieren, dass Sexarbeiterinnen nicht mehr stigmatisiert werden?
Lakomy: Moment mal, der Beruf Prostituierte ist seit 20 Jahren in Deutschland politisch und juristisch legalisiert. Es gelten zwar mancherorts noch Sperrbezirksverordnungen. Von der Mehrheit der Gesellschaft werden Prostituierte jedoch bis heute geächtet. Deshalb können die Frauen, die diesem Beruf nachgehen, auch kaum über ihre Arbeit sprechen. Nur so würde die Gesellschaft realisieren, wie verbreitet der Beruf ist und wie viele Menschen auch schon den Dienst einer Prostituierten in Anspruch genommen haben. Gleichzeitig frage ich mich aber auch: Will ich überhaupt Normalität haben? Das Geheimnisvolle und Verruchte unseres Berufes macht mir zu gewissen Teilen auch Spass – dies sollte allerdings nie auf Kosten von Menschen gehen, die unter der Stigmatisierung leiden.
Havemann: Stigmatisierungen gibt es auch in anderen Berufsfeldern. Ich arbeitete früher bei der Eisenbahn und lief in einem Overall durch die Gegend. Ich erinnere mich gut, wie mir da manchmal «Idiot» hinterhergerufen wurde. Hanna hat es vorhin bereits angesprochen: Die Stigmatisierung ist im gewissen Sinne auch Voraussetzung für ihre Tätigkeit, weil sie damit verlockender wird. Deshalb finde ich auch den Begriff «Sexarbeit» so grauslich.
Lakomy: Der Begriff «Sexarbeiterin» klingt nach harter Arbeit, also nicht schön. Ich will bei meiner Arbeit Spass haben und meine Kunden sollen das Gefühl haben, dass ich es genauso geniesse wie sie.
Im Podcast F.A.Z.-Reihe «Junge Köpfe» sagten Sie, Frau Lakomy, im September 2022 den Satz: «Unsere Escortagentur verlangt möglichst hohe Preise, damit wir möglichst wenig Kunden haben und gesund bleiben und es lange durchhalten.» Klingt für mich nicht nur nach Spass.
Lakomy: Sollte ich das im Eifer des Gefechtes so gesagt haben, dann will ich Ihnen nicht widersprechen. Ich meinte mit der Aussage, dass wir unsere Kundinnen und Kunden aussuchen möchten. Wissen Sie, ich weiss nicht, wie andere Frauen sind, aber ich habe eine zarte physische Konstitution. Ich möchte nicht häufiger als dreimal pro Woche mich auf einen fremden Menschen einlassen und mit ihm schlafen. Auch deshalb nicht, weil ich bei solchen Dates sehr exzessiv werden kann. So schön ein Exzess sein kann, er belastet einen körperlich …
Havemann: … und seelisch.
Lakomy: Seelisch auch, ja. Sagen wir es doch so: Manche Menschen gehen gern in die Berge zum Wandern. Wandern ist schön, aber es kann anstrengend sein. Nur sagt deshalb niemand: Wandern ist offenbar anstrengend und darum nicht schön. Zum Glück habe ich als Prostituierte keinen steilen Aufstieg zu bewältigen …
Während des Aufstiegs auf einen Berg hat ein Mensch vor allem mit sich selber zu kämpfen …
Havemann: Ach, ich dachte, man kämpft mit den Bergen. Aber ich komme ja auch nicht aus der Schweiz.
Frau Lakomy, Sie sind ziemlich berühmt.
Lakomy: Ich bin berühmt, ja, ziemlich berühmt (lacht).
Ich stelle es mir kompliziert vor, wenn Sie mit einem anderen berühmten Menschen in ein Restaurant essen gehen und Sie von den Gästen als Prostituierte erkannt werden.
Lakomy: Es gibt die sogenannten Promi-Ficker. Manchen Männern fällt aber auch erst kurz vor dem Date ein, dass wir erkannt werden könnten. Die beschliessen dann kurzfristig, dass das Date direkt im Hotelzimmer stattfinden soll. Und dann gibt es die Menschen, die mögen den Nervenkitzel und behaupten, wenn sie während des Essens angesprochen werden, wir hätten uns zufällig getroffen. Oder ich behaupte, der Mann sei mein Medienrechtsanwalt. Das macht den Leuten Angst.
Glauben Sie, die Mehrheit der Menschen, die in Deutschland leben, haben guten Sex?
Lakomy: Ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen keinen guten Sex haben.
Wieso das?
Lakomy: Die Menschen in Deutschland würden sich sonst besser anziehen und besser bewegen. Ich glaube, in anderen Ländern haben die Menschen besseren Sex.
Ich behaupte, dass Sie, Frau Lakomy und Herr Havemann, gern provozieren.
Lakomy: Wir provozieren nicht mit Absicht. Aber was können wir dafür, dass das, was wir für normal halten, andere Menschen provoziert.
Havemann: Wir scheuen die Provokation nicht. Sie ist aber nicht unser erstes Ziel.
Lakomy: Wir nehmen keine Rücksicht darauf, dass andere provoziert werden, tun es aber nicht absichtlich. Das ist ein Unterschied.
Wie wäre es damit: Weniger provozieren, dafür mehr Ziele erreichen?
Lakomy: Ach, ich könnte auch ein bisschen lügen. Nur, was würde ich damit erreichen? Wir haben mit Freunden einen Verlag gegründet und verbreiten unsere und andere Texte. Oder was meinen Sie, was wir anders machen sollten? Mein Ziel ist nicht, das Bundesverdienstkreuz überreicht zu bekommen (lacht).
Manch eine Leserin oder ein Leser wird die Widmung am Endes Ihres Romans als Provokation empfinden. Sie widmen ihn Claas Relotius. Der ehemalige «Spiegel»-Journalist publizierte jahrelang frei erfundene Reportagen und Interviews im deutschen Nachrichtenmagazin.
Lakomy: Ach Gott, das hat der Mann sich doch verdient. Ich jedenfalls habe von Herrn Relotius gelernt, dass man zu Texten immer eine Playlist mit Musiktiteln stellen sollte.
Etwas, was Sie auch in Ihrem Roman tun.
Lakomy: Der Kunstfehler dieses Herrn war einfach, dass er seine Tätigkeit Journalismus nannte. Vielleicht ist diese Widmung auch ein Fingerzeig unsererseits, dass man uns nicht alles glauben sollte. Ich finde, der Relotius sollte sich endlich bei uns melden und sich bedanken.
Sie arbeiten als Escort und Prostituierte, begleiten Menschen aber auch ohne sexuelle Aktivitäten zu Diners oder Hochzeiten. Wie halten Sie spannenden Smalltalk mit Menschen, die Sie kaum kennen? Haben Sie mir, der Smalltalk nicht mag, irgendwelche Tipps?
Lakomy: Ich mag Smalltalk ebenfalls nicht und deshalb verzichte ich darauf, sondern rede mit meinen Kunden über Politik oder andere profundere Themen. Oder wir reden zusammen über sein erstes Mal oder sein letztes Mal. Ich mache Deep talk. Smalltalk braucht niemand.
Havemann: Gespräche über das erste Mal finde ich spannend.
Lakomy: Flori, du weisst ja, alle meine Kunden geben mir das Geld gern (lacht).
Wie interessant fanden Sie die Erfahrung, Frau Lakomy, als Ihnen vor einem Jahr in einem Schweizer Hotel vom Sicherheitspersonal eine Waffe an den Kopf gehalten wurde?
Lakomy: Stopp! Mir wurde keine Waffe an den Kopf gehalten. Wie kommen Sie denn darauf?
Entschuldigung, das ist mein Fehler. Ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt: Der Sicherheitsbeamte, den Sie in einem Luxushotel trafen, trug eine Waffe auf sich.
Lakomy: Da stimmt so auch nicht ganz und das habe ich so auch nicht geschrieben in meiner Kolumne in der «Berliner Zeitung». Der Wachmann stand mit eingesteckter Waffe vor unserem Hotelzimmer. Noch viel mehr amüsiert hat mich jedoch, dass die ukrainische und russische Delegation im gleichen Hotel untergebracht war, obwohl zwischen den beiden Ländern Krieg herrscht. Interessant war zudem, dass sich die beiden Delegationen an der Bar äusserst gut verstanden haben.
In der deutschen Wochenzeitung «Zeit» schrieben Sie im vergangenen Oktober über Kunden, die das Honorar nicht bezahlen wollen – und wie sie einer Kollegin am Telefon geraten haben, den zugekoksten Kunden abzulenken, bevor sie sich auf die Toilette begibt, um danach das Weite zu suchen. Sind solche Situationen Normalität?
Lakomy: Nein. Deshalb habe ich diese Geschichte auch publiziert, denn Tatsache ist: Unsere Kunden zahlen immer. Das kann ich Ihnen garantieren.
Verraten Sie mir, was aktuell der grösste Fetisch der Kunden Ihres Escortdienstes Hetaera in Berlin ist?
Lakomy: Oh, Flori hörst du noch zu …
Havemann: Ja. Ich glaube aber nicht, dass es auf diese Frage eine Antwort gibt.
Lakomy: Ich weiss, welches der grösste Fetisch aktuell ist, aber das sage ich nicht in der Öffentlichkeit. Ich finde, es sollten noch ein paar Geheimnisse gewahrt bleiben. Sollte mich jedoch ein Kunde während eines Dates danach fragen, dann würde ich es ihm natürlich sagen.
Ich frage dies deshalb, weil mir die Geschäftsführerin eines Sexshops einmal sagte, dass nachdem «Fifty Shades of Grey» in den Kinos lief, Ihre Kundschaft plötzlich neue sexuellen Vorlieben ausleben wollte.
Lakomy: Ach, Sie meinen die Sadomaso-Touristen. Da fragen Sie besser eine Kollegin, die ein Domina-Studio betreibt. Ich weiss nur, wie solche Kunden in Bordellen genannt werden.
Wie denn?
Lakomy: Die buchen eine «Hafenrundfahrt» (lacht).
Jetzt kann ich es ja verraten: Wegen Ihrer Kolumnen habe ich ein Online-Abo der «Berliner Zeitung» gekauft.
Lakomy: Das finde ich richtig und werde dies gern auch so weiterleiten. Lesen Sie dann auch die Essays von Herrn Havemann?
Bisher noch nicht, aber ich gelobe Besserung.
Lakomy: Es gibt sonst keine Zeitung in Deutschland, die heute noch regelmässig doppelseitige Essays von einem Intellektuellen publiziert.
Frau Lakomy und Herr Havemann, was können Sie überhaupt nicht?
Lakomy: Ach, wir können so viel nicht. Da muss ich kurz überlegen … Für Steuerkram habe ich meine Leute. Ich kann schlecht kochen, dafür kann es Flori ganz gut. Ich kann nicht pünktlich sein, Flori dagegen schon.
Havemann: Ich kann nicht Parteiführer werden und auch nicht Bundeskanzler.
Lakomy: Das kann ich auch nicht, weil ich Prostituierte bin.
Havemann: Ich war zehn Jahr Verfassungsrichter und habe den Bereich der Macht kennengelernt. Deshalb weiss ich: als Berater ganz gut, nicht aber als Anführer.
Lakomy: Wir können beide nicht gut schleimen und sind schlechte Diplomaten.
Schreiben Sie bereits an Ihrem nächsten Buch?
Lakomy: Ja.
Havemann: Aber nicht gemeinsam. Hanna muss jetzt allein zeigen, was sie kann.
Lakomy: Sie sehen, Herr Bötschi, es lastet ein gewisser Druck auf mir. Und unter uns: Kürzlich musste ich feststellen, dass meine ehemalige Deutschlehrerin keine Freude an meinem ersten Roman hat. Sie meldete sich telefonisch bei meiner Mutter, um sich über unser Buch beschweren.
Was ist Ihr grösster Kritikpunkt?
Lakomy: Ehrlich gesagt, weiss ich das nicht so genau. Ich denke, sie hat Mühe mit den expliziten Darstellungen im Buch.
Möchten Sie zum Schluss noch etwas über den Inhalt Ihres Romans sagen?
Lakomy: Nein, dafür haben wir ja das Buch geschrieben.
Havemann: Es gibt Bücher, die lassen sich gut zusammenfassen. Bei einem dialogischen Buch wie dem unseren ist das schwieriger. Als Autor will ich einem Leser auch nicht vorschreiben, was er in unserem Roman zu finden hat. Das soll jeder selber entscheiden können – nötigenfalls kann er das Buch auch in eine Ecke knallen, wenn es ihm nicht gefällt.
Lakomy: Ein Kunstwerk ist am Ende doch meist klüger als der Künstler, der es erschaffen hat. Und so hoffe ich, dass auch unser Buch klüger ist als wir zwei.
Das ist ein schönes Schlusswort.
Havemann: Ein kluges Schlusswort.
Der Roman «Begabung usw.» von Hanna Lakomy und Florian Havemann kann im Buchhandel gekauft oder auf der Website des Verlages «Freunde & Friends» bestellt werden.