Lando Norris wirbelt in Miami mit seinem ersten Grand-Prix-Sieg die festgefahrene Hierarchie an der Spitze der Formel 1 durcheinander. Die Premiere ist für die McLaren-Vorgesetzten eine Bestätigung.
Auch Lando Norris musste da durch. Auch ihm war das Etikett des jungen Schnösels umgehängt worden, der nur dank finanzieller Mitgift den Aufstieg zum Formel-1-Fahrer schaffte. Beim Blick auf den familiären Hintergrund des damaligen Teenagers war die Meinung schnell gemacht. Da hatte sich der Sohn eines steinreichen Papas den Weg nach oben dank viel Geld freigekauft.
Es stimmt, dass Norris aus gutem Hause kommt. Das Vermögen seines Vaters Adam wird auf gut 200 Millionen Pfund geschätzt. Das viele Geld hat er einst als Chef einer Firma für Rentenberatung verdient. Seit dem Verkauf des Unternehmens ist er wiederum mit Erfolg im Investment-Bereich tätig. Und es stimmt natürlich, dass Adam Norris seinen Filius in den ersten Jahren grosszügig unterstützt hat. Er war es schliesslich gewesen, der den Junior zum Automobilsport gebracht hatte. Lando Norris hatte sich vorerst für Motorradrennen begeistert. Er wollte es seinem Idol Valentino Rossi gleichtun.
Aber es stimmt nicht, dass Lando Norris die Beförderung zum Stammfahrer im Rennstall McLaren einem dicken Check des Vaters verdankt. Solche Gerüchte wurden auch nur abseits des inneren Zirkels der Formel 1 gestreut, in Kreisen von Leuten, die mit der Materie nicht vertraut waren. Kenner der Szene wussten, dass der Hochbegabte für den letzten Schritt auf der Karriere-Leiter kein Geld einbringen musste.
Die frühen Erfolge
Lando Norris machte früh auf sein Talent aufmerksam. In den Nachwuchs-Kategorien gewann er so ziemlich alles, was es zu gewinnen gab. Er war unter anderem britischer Formel-4-Meister, Gesamt-Erster in den Toyota Racing Series und in der europäischen Formel-3-Meisterschaft. Vor dem Übertritt in die Formel 1 wurde er hinter seinem nunmehr beim Team Mercedes engagierten englischen Landsmann George Russell in der Formel 2 Zweiter.
Anlaufschwierigkeiten hatte der Emporkömmling auch in der Formel 1 keine. Zwei Wochen nach seinem Debüt im Grand Prix von Australien, das er im Alter von 19 Jahren und 125 als jüngster Brite gegeben hatte, lieferte er bereits Zählbares ab. Dank Platz 6 im Grossen Preis von Bahrain sicherte er sich seine ersten acht WM-Punkte.
Mit dem ersten Grand-Prix-Sieg setzte Norris am Sonntag in Miami das nächste grosse Ausrufezeichen. Er sandte ein Signal, das nicht nur ihm selber und dem Team McLaren, sondern auch der Konkurrenz Mut machen dürfte. Der Beweis, dass an einem perfekten Tag selbst der übermächtige Max Verstappen in die Schranken gewiesen werden kann, tat ausserhalb der Equipe Red Bull allen gut.
Die schlimmste Phase
Norris' Einstand in der Formel 1 vor fünf Jahren fiel in eine Zeit, in der das einst dominierende Team McLaren nach der schlimmsten Phase seiner ruhmreichen Geschichte langsam wieder auf die Beine kam, sich wieder in die richtige Richtung entwickelte. Das dunkle Kapitel war nicht nur von der sportlichen Talfahrt, sondern auch von Geldnot geprägt.
Die Corona-Pandemie verschärfte die finanzielle Schieflage zusätzlich. Die Produktion musste zwischenzeitlich eingestellt werden, die Autoverkäufe brachen ein, dazu verzögerte sich der Start der Formel-1-Saison um mehrere Monate, so dass auch diese Geldquelle versiegte. Bei McLaren waren sie gezwungen, den Personalbestand zu reduzieren. 800 Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz.
Die britische Regierung lehnte einen Antrag auf Staatshilfe ab. Als Retterin sprang die Nationalbank von Bahrain ein. Sie stellte der McLaren Gruppe, zu der neben dem Formel-1-Team der gleichnamige Sportwagen-Hersteller gehört, einen Kredit in der Höhe von umgerechnet 175 Millionen Franken zur Verfügung. Die Hilfe aus dem Königreich im Persischen Golf kam nicht überraschend. Die Mumtalakat Holding Company, der Staatsfonds der Regierung des Inselstaates, hält einen Anteil von 62,55 Prozent an der McLaren Gruppe und ist mit einer Beteiligung von 44 Prozent auch Haupteignerin der Nationalbank.
Das zusätzliche Kapital
Die Finanzspritze aus dem arabischen Raum reichte den Verantwortlichen nicht. Für ihren Plan, den Traditionsrennstall wieder zu einstiger Stärke zurückzuführen, war zusätzliches Kapital nötig. In einem ersten Schritt holten sie vor dreieinhalb Jahren MSP Sports Capital aus den USA ins Boot. Die im Sportinvestment angesiedelte Gruppe, die in ihrem Portfolio der Beteiligungen unter anderem den Bundesligisten Augsburg stehen hat, erwarb sich mit dem Zuschuss von 185 Millionen Pfund einen Anteil von 15 Prozent an McLaren Racing.
Vier Monate danach folgte als nächste Stufe der Verkauf der Firmen-Basis in Woking. Die Veräusserung der prachtvollen Anlage in der englischen Grafschaft Surrey brachte 170 Millionen Pfund ein. Neue Besitzerin ist mit dem Konzern Global Net Lease GNL ebenfalls eine amerikanische Investment-Firma.
Bei McLaren sind sie überzeugt, mit den vielerorts kritisch beäugten Transaktionen die richtigen Entscheide gefällt zu haben. Mit den wieder ins Lot gebrachten Finanzen sehen sie die Basis gelegt, um ihre ambitiösen Pläne umzusetzen. Am Sonntag sind sie ihren Zielen wieder ein Stück näher gerückt.
ber, sda