Late Night USA So blamieren sich die Medien mit der Berichterstattung über Trump

Philipp Dahm

23.4.2024

Achtung, Floskel-Alarm: Jon Stewart (rechts) nervt die Berichterstattung über den «Prozess des Jahrhunderts».
Achtung, Floskel-Alarm: Jon Stewart (rechts) nervt die Berichterstattung über den «Prozess des Jahrhunderts».
Youtube/The Daily Show

Jon Stewart zeigt in der «Daily Show» auf, wie sich die amerikanischen Medien bei der Berichterstattung über Donald Trumps Schweigegeld-Prozess überschlagen – und sich selbst schaden.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am 22. April hat mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung der New Yorker Schweigegeld-Prozess gegen Donald Trump begonnen.
  • In der «Daily Show» seziert Jon Stewart die Berichterstattung.
  • Insbesondere das TV berichtet über jedes Detail – von der Anfahrt zum Gericht über die Interpretation von Gesten bis hin zum Interview mit einer Gerichtszeichnerin.
  • Stewarts Kritik: Wenn Banales hochstilisiert wird, gehen später wichtige Informationen und relevante Tatsachen unter.

«Es ist ein grosser Tag für Donald Trump», weiss Jon Stewart. «Riesig. Sein Präsidentschaftswahlkampf wurde heute unterbrochen von dem Prozess über das andere Mal, als er Präsident werden wollte.» Worum es in der «Daily Show» geht, erklärt der Clip ab Minute 1:10.

«Die Staatsanwaltschaft argumentiert, dass Trumps angeblicher Plan, eine Pornodarstellerin ruhigzustellen, eine Wahlbeeinflussung ist», sagt da CNN-Moderator Anderson Cooper. Fox News kontert: «Trumps Verteidiger Todd Blanche sagte dagegen, dass der frühere Präsident das Gesetz aber nicht gebrochen hätte.»

Der Prozess werde nicht nur Amerikas Rechtssystem auf die Probe stellen, sondern auch die Medien, so Stewart. Die waren zuletzt selbstkritisch, zeigt der Einspieler ab Minute 1:53: Da wird beklagt, man habe Trump 2016 zu sehr gehypt, ihm «Stunde um Stunde Gratissendezeit» gegeben, sich ablenken lassen sowie «viel zu viel» spekuliert und herbeigeredet. Doch durch die letzten Jahre habe man auch «viel gelernt», so der Tenor.

Von «banalsten Details» zum «allumfassenden Spektakel»

«So tapfer. Gut gemacht», lästert Stewart. Man werde nun also sehen, ob die Selbstkritik Früchte getragen habe. «Oder wir erfahren, dass Lernkurven etwas für Schlappschwänze sind.» Was folgt? Natürlich der nächste Einspieler ab Minute 2:41 mit Journalistinnen und Journalisten, die völlig aus der Haut fahren.

Haben die Medien aus früheren Fehlern gelernt? Stewarts Gesicht gibt die Antwort.
Haben die Medien aus früheren Fehlern gelernt? Stewarts Gesicht gibt die Antwort.
Youtube/The Daily Show

«Here we go», heisst es da. Und: «Losgeht's, es geschieht: Geschichte wird geschrieben.» Und: «Es ist vielleicht der Prozess des Jahrhunderts.» Diese Phrase fällt ziemlich häufig. Mehrfach bedient wird auch die Floskel «Die juristische Schlinge zieht sich zu».

«Wenn wir vielleicht die Berichterstattung auf das vorliegende Thema beschränken», regt sich Jon Stewart auf, «und nicht versuchen, ein allumfassendes Spektakel aus den banalsten Details zu machen, würde das vielleicht helfen.»

«Er kam an der Kreuzung der amerikanischen Geschichte an»

Doch nicht mit den amerikanischen Medien: Wie ab Minute 3:35 zu sehen ist, wird nur schon Trumps 20-minütige Fahrt zum Gericht zum Medienereignis, das von Helikoptern begleitet wird: «Jetzt fahren sie durch die Stadt entlang der 57. Strasse. Sie haben gerade die Park Avenue überquert und sind auf dem Weg zur Lexington Avenue.»

Trumps Konvoi auf dem Weg zum Gericht auf – die Medien verfolgen das Ganze vom Boden und auch aus der Luft aus.
Trumps Konvoi auf dem Weg zum Gericht auf – die Medien verfolgen das Ganze vom Boden und auch aus der Luft aus.
Youtube/The Daily Show

Der Höhepunkt: «Sie kommen mit Trotz an dieser Kreuzung der amerikanischen Geschichte an.» Stewart setzt eine staatstragende Stimme auf: «Er kam an der Kreuzung der amerikanischen Geschichte an, wo er einen Franken in die Parkuhr des Schicksals warf», parodiert der 61-Jährige seine Medienkollegen. «Er stieg aus dem Auto und versuchte, nicht in die Urin-Pfütze der Rechtssprechung zu treten.»

Man müsse sich ernsthaft fragen, ob man das jeden Tag durchziehen wolle. «Er ist nicht O. J. [Simpson]. Es ist keine Verfolgungsjagd. Er pendelt!» Klar ist: «Der erste Versuch der Medien, der allererste Versuch am ersten Tag, sich selbst zu kontrollieren, ist gescheitert.»

«Es ist künstlerischer Journalismus»

Die Stilblüten im US-TV nehmen kein Ende. Ab Minute 5:55 wird ein abgelehnter Geschworener von einem MSNBC-Reporter befragt, was er im Gericht von Donald Trump gesehen habe. «Nicht sehr viel», antwortet der ältere Herr mit weissem Kurzhaarschnitt. «Er war ein wenig vor mir auf der linken Seite. Ich konnte ihn heute nicht vollständig sehen.»

«Bru... Bruder?»: Jon Stewart erkennt sich in dem abgewiesenen Geschworenen selbst. «Der Motherf***** kleidet sich sogar wie ich.»
«Bru... Bruder?»: Jon Stewart erkennt sich in dem abgewiesenen Geschworenen selbst. «Der Motherf***** kleidet sich sogar wie ich.»
Youtube/The Daily Show

«Und gleich: Mehr von unserem dreiteiligen Interview mit dem Typen, der Trump im Gericht fast gesehen hat», schiebt Stewart ironisch nach. Fehle nur noch was in Pastelltönen – doch CNN bringt es fertig, selbst über eine Gerichtszeitung zu lamentieren, die in jenen Tönen gemalt worden ist. «Es ist künstlerischer Journalismus», sagt Moderator Jake Tapper dazu, «aber es ist keine Fotografie.»

«Donald Trump sieht aus, als würde er finster dreinblicken»: Jake Tapper (oben links) liest viel in diese Zeichnung hinein.
«Donald Trump sieht aus, als würde er finster dreinblicken»: Jake Tapper (oben links) liest viel in diese Zeichnung hinein.
Youtube/The Daily Show

Jon Stewart schaut fassungslos in die Kamera: Warum zeigt ihr es uns dann? Es ist eine Zeichnung: Warum sollte jemand eine Zeichnung analysieren? Es ist, als würde man [das Gemälde] ‹Das letzte Abendmahl› anschauen und fragen: ‹Was glaubst du, warum Jesus darauf so traurig aussieht? Ist es wegen Judas?›»

«Er hat sich tatsächlich auf die Lippe gebissen»

Doch damit nicht genug: CNN – zu sehen ab Minute 8 – spricht auch noch mit Christine Cornell, die die Zeichnungen angefertigt hat. Warum scheint es so, als habe Trump auf einer davon die Augen geschlossen? «Entschuldigen Sie, Ma'am», seufzt die Dame. «Ich sass 15 Meter entfernt. Ich hatte solche Mühe, diese Augen reinzubekommen.»

«Ich hatte solche Mühe, diese Augen reinzubekommen»: Um diese Gerichtszeichnung geht es.
«Ich hatte solche Mühe, diese Augen reinzubekommen»: Um diese Gerichtszeichnung geht es.
Keystone

Und die Medien faseln nicht nur lang und breit darüber, wie Trump aussieht, obwohl der dauernd im Fernsehen ist, so Stewart: Auch seine Bewegungen werden ab Minute 9:19 en détail beschrieben: «Er hat sich tatsächlich während der heutigen Vorgänge auf die Lippe gebissen», ist nur eine dieser Banalitäten.

Late Night USA – Amerika verstehen
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50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

«Schaut», bringt es Stewart auf den Punkt, «zu irgendeinem Zeitpunkt in diesem Prozess wird etwas Wichtiges und Aufschlussreiches passieren. Aber niemand von uns wird es bemerken – wegen der Stunden, die damit verbracht wurden, über seine Gesichtszuckungen zu spekulieren. Wenn die Medien versuchen, uns weiszumachen, dass die banalste Sch***** weltbewegend ist, werden wir euch nicht glauben, wenn es wirklich interessant wird.»

Prozesse seien nun mal langweilig, weiss die Late-Night-Legende. Trump habe noch die natürlichste Reaktion gezeigt, indem er im Gericht mehrfach eingedöst ist. «Er war wach bis 2 Uhr morgens und hat wütende Tweets verfasst. Er braucht seinen Wut-Schlaf», erklärt der gebürtige New Yorker. Die Medien müssten sich zurückhalten – auch, weil noch so viele Prozesstage und weitere Verhandlungen folgen würden. 

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Im Weissen Haus wurde Kokain gefunden.
Patrick Semansky/AP/dpa