Minigolf-Battle Silberschmidt vs. Wasserfallen «Ich arbeite wahrscheinlich bis 70» – «Das glaube ich sofort»

Von Alex Rudolf, Fabienne Berner und Christian Thumshirn

4.10.2023

«Man sagte mir, ich hätte mich für die Arena gut rasiert»

«Man sagte mir, ich hätte mich für die Arena gut rasiert»

Wie wird unsere Altersvorsorge stabil und warum verdienen Krankenkassen-Chefs so viel. Flavia Wasserfallen (SP) und Andri Silberschmidt (FDP) duellieren sich erst im Minigolf, dann im Streitgespräch.

04.10.2023

Wie wird die Altersvorsorge stabil und warum verdienen Krankenkassen-Chefs so viel? Flavia Wasserfallen (SP) und Andri Silberschmidt (FDP) duellieren sich erst im Minigolf, dann im Streitgespräch.

Von Alex Rudolf, Fabienne Berner und Christian Thumshirn

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Bernerin Flavia Wasserfallen (SP) will am 22. Oktober neu in den Ständerat, der Zürcher Andri Silberschmidt (FDP) erneut in den Nationalrat gewählt werden.
  • Im Video oben siehst du, wie sich die beiden im Minigolf-Battle von blue News schlagen.
  • Im Streitgespräch unten erfährst du ihre Vorstellungen davon, wie sich die Altersvorsorge langfristig sichern lässt und wie die Krankenkassen-Prämien gesenkt werden können.

Fünf Männer haben bereits ihr Interesse an der Nachfolge von Alain Berset bekundet. Wer bekommt Ihre Stimme?

Flavia Wasserfallen: Das kann ich noch nicht sagen, denn ich gehe davon aus, dass das Kandidat*innen-Feld noch erweitert wird. Ich entscheide mich, wenn es so weit ist.

Andri Silberschmidt: Von jenen Kandidierenden, die bislang ihr Interesse bekundet haben, ginge meine Stimme wohl an einen Zürcher – im Moment jedenfalls. Entscheidend ist die Frage, wer aufs Ticket kommt und wie sich diese Personen im Hearing schlagen.

Wie fühlt es sich an, Herr Silberschmidt, das zweitgrösste Wahlkampf-Budget der Schweiz zu haben?

Silberschmidt: Das ist für mich weder eine grosse Errungenschaft, noch ist es etwas, wofür ich mich schäme.

Frau Wasserfallen, die Parteien rechts der Mitte haben ein viel grösseres Budget als die SP. Ärgert Sie das?

Serie Minigolf-Battle

Das ist die zweite Folge des blue News-Minigolf-Battles. Politiker*innen verschiedener Parteien duellieren sich erst in einem Minigolf-Turnier und kreuzen anschliessend in einem vertieften Streitgespräch verbal die Klingen. Das letzte Mal diskutieren GLP-Frau Sanija Ameti und SVP-Mann Domenik Ledergerber über die EU und die Aussenbeziehungen der Schweiz.

Wasserfallen: Nein, mir ist die Transparenz wichtig. Die Stimmbürger*innen sollen sehen, woher das Geld kommt und von wem grössere Spenden fliessen. So können Sie sich selber ein Bild machen.

Herr Silberschmidt, würden Sie sich beim Eintritt ins Pensionsalter nicht über eine 13. AHV-Rente freuen, so wie es die Partei von Frau Wasserfallen fordert?

Silberschmidt: Ich finde es wichtig, dass tiefe Renten erhöht werden. Wie hoch meine Rente dereinst sein wird, weiss ich noch nicht.

Es ist wohl eine Preisfrage. Die 13. AHV-Rente würde 5 Milliarden Franken kosten. Woher kommt das Geld, Frau Wasserfallen?

Wasserfallen: Die Frage ist, von welcher Seite wir das Problem angehen. Wir von der SP finden, dass wir die AHV stärken müssen, damit die Bezüger*innen eine grössere Kaufkraft haben. Finanziert werden könnte dies über Lohnprozente oder die Einführung einer Erbschaftssteuer.

«Heben wir das Rentenalter für alle an, dann werden diejenigen bestraft, die sich nicht frühpensionieren lassen können.»

Flavia Wasserfallen

Nationalrätin SP Bern

Manche finden es störend, dass auch Reiche eine 13. Rente erhalten sollen.

Wasserfallen: Wir brauchen alle, die mitfinanzieren – auch die Reichen. Und weiterhin sollen alle die gleichen Renten erhalten. Wir sollten das System in sich nicht aufbrechen.

Herr Silberschmidt, Ihre Initiative kommt voraussichtlich im Frühjahr vors Volk. Erst wollen Sie das Rentenalter erhöhen und es dann an die Lebenserwartung koppeln. Ehrlicherweise betrifft dies wohl nur die Ärmeren, da sich Reiche frühpensionieren lassen können.

Flavia Wasserfallen ist gegen die Erhöhung des Rentenalters, da jene bestraft würden, die sich eine Frühpensionierung nicht leisten können.
Flavia Wasserfallen ist gegen die Erhöhung des Rentenalters, da jene bestraft würden, die sich eine Frühpensionierung nicht leisten können.
Foto: Fabienne Berner

Silberschmidt: Es betrifft alle gleich, denn jene, die sich frühpensionieren lassen, würden eine höhere Renteneinbusse in Kauf nehmen. Auch sie würden ihren Beitrag leisten, indem sie auf einen Teil verzichten. Das Rentenalter ist für alle gleich, ausser dort, wo Branchenlösungen gefunden wurden, wie etwa im Baugewerbe.

Flavia Wasserfallen

Flavia Wasserfallen lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bern. Die 44-Jährige ist seit 2018 Mitglied des Nationalrats für die SP und kandidiert derzeit für einen der Berner Sitze im Ständerat.

Wasserfallen: Ich sehe es eben nicht so. Heben wir das Rentenalter für alle an, dann werden diejenigen bestraft, die sich nicht frühpensionieren lassen können. Ich spreche von der Pflegefachfrau, die schwere Arbeit verrichtet. Eine Erhöhung des Referenzalters ist falsch und bedeutet nichts anderes als eine Rentenkürzung. Zudem haben ältere Arbeitnehmende oft Mühe, eine Stelle zu finden, wenn sie eine suchen. Und nicht zuletzt ist es auch unfair wegen der Lebenserwartung. Die, die sich frühpensionieren lassen, leben in der Regel länger.

Andri Silberschmidt

Andri Silberschmidt ist 29-jährig, kinderlos und wohnt mit seiner Verlobten in der Stadt Zürich. Er sitzt seit 2019 für die FDP im Nationalrat. Davor war er zwischen 2016 und 2019 Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz.

Sie arbeiten wohl nicht bis 66, Herr Silberschmidt. Oder?

Silberschmidt: Nein. Ich arbeite wahrscheinlich bis 70. Wir müssen schauen, dass Arbeit etwas ist, das die Menschen mit guten Gefühlen verbinden – heute ist dies nicht immer so. Es wird immer seltener der Fall sein, dass man von heute auf morgen aufhört zu arbeitet. Viel eher reduziert man auf 50 Prozent oder noch weniger. Mir geht es nun darum, wie wir das finanzielle Loch in der AHV schliessen können. Nur über die Mehrwertsteuern wird das zu teuer. Steigt sie auf 12 Prozentpunkte, wird die Kaufkraft von jungen Familien und Rentner*innen empfindlich geschwächt. Mir macht es nicht besonders viel Freude, wenn wir länger arbeiten müssen. Aber ich will eine Lösung präsentieren, wie die AHV sicher finanziert wird. Anschliessend können wir auch die Renten erhöhen.

«Wir müssen von dieser All-you-can-eat-Mentalität wegkommen, bei der alle Personen alle Leistungen zahlen müssen.»

Andri Silberschmidt

Nationalrat FDP Zürich

Wasserfallen: Ich glaube sofort, dass Andri bis 70 arbeiten will und dies auch machen wird. Mich stört an der Forderung nach einem höheren Rentenalter aber, dass sie genau aus jener Ecke mit vielen Versicherungs- und Bankangestellten kommt. Wir sehen schon heute, dass Frühpensionierungen in dieser Branche Standard sind, weil sie es sich leisten können. Alle anderen hätten das Nachsehen. Daher: Eine Flexibilisierung ist okay und haben wir auch, aber eine Erhöhung, die jene im Gastgewerbe oder in der Pflege besonders trifft, dagegen wehre ich mich.

Ein Problem der AHV ist, dass jene, die damit nicht durchkommen, Ergänzungsleistungen beziehen können. Doch nur jede und jeder Achte tut dies.

Silberschmidt: Unsere Sozialsysteme sollen möglichst niederschwellig erreichbar sein. Viel Bürokratie hält manche davon ab, Leistungen auch tatsächlich zu beanspruchen. Letztlich handhabt es jeder Kanton anders mit entsprechenden Formularen. Es gibt auch jene, die persönlich kein gutes Gefühl haben, Ergänzungsleistungen zu beantragen. Wie können wir denen sagen, dass ihnen dieses Geld zusteht? Eine Entstigmatisierung schafft die Politik wohl nicht alleine.

Wasserfallen: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll mit seiner Rente in Würde leben können. Dafür stehe ich ein. Wir haben die Ergänzungsleistungen für Fälle, bei denen es eben nicht reicht. Mir wäre es lieber, wir würden die AHV ausbauen, und könnten im Gegenzug die Ergänzungsleistungen herunterfahren.

Andri Silberschmidt ist für die Einführung einer Budget-Krankenkasse.
Andri Silberschmidt ist für die Einführung einer Budget-Krankenkasse.
Foto: Fabienne Berner

Vergangene Woche wurde bekannt gegeben, dass die Krankenkassen-Prämien im kommenden Jahr um durchschnittlich 8,7 Prozent steigen. Wie lassen sich die Gesundheitskosten senken?

Silberschmidt: Wir müssen die Fehlanreize aus dem System entfernen. Dies können wir durch die Einführung einer Budget-Krankenkasse bekämpfen. Schon heute gibt es die alternativen Versicherungsmodelle, bei denen man die Möglichkeit hat, sich freiwillig einzuschränken – etwa mit dem Hausarzt-Modell. Solche Möglichkeiten müssen ausgebaut werden und wir müssen von dieser All-you-can-eat-Mentalität wegkommen, bei der alle Personen alle Leistungen zahlen müssen. Weiter soll ein Fokus auf die Qualität sowie die Digitalisierung gelegt werden.

Warum ist die Budget-Krankenkasse keine gute Idee, Frau Wasserfallen?

Wasserfallen: Damit die Gesundheitskosten für alle bezahlbar und die Gesundheitsleistungen allen zugänglich bleiben, müssen wir auf der einen Seite die Prämienverbilligungen ausbauen. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch bei den Kosten ansetzen. Hier haben Andri Silberschmidt und ich Überschneidungen, da wir beide die Digitalisierung als Mittel gegen fehlende Koordination und Überversorgung vorantreiben wollen. Gegen die Budget-Krankenkasse bin ich, weil ich kein System will, in welchem sich die Gesunden und Jüngeren eine günstigere Versicherung leisten können. Und die chronisch Kranken und Älteren können dies nicht. Unser solidarisch aufgebautes System würde auseinanderfallen – so weit darf es nicht kommen.

Silberschmidt: Man kann die Franchise bei 2500 Franken belassen. Die Budget-Krankenkasse beinhaltet aber noch viel mehr: Man soll sich beispielsweise einem Versorgungsnetzwerk anschliessen, Mehrjahresverträge abschliessen oder eine Generika-Pflicht eingehen können. All dies würde die Prämien senken.

Wasserfallen: Die Generika-Pflicht ist eine Forderung. Wir wollten gegen überhöhte Generika und generell hohe Medikamentenpreise vorgehen. Das scheiterte leider. Auch andere Kostensenkungsmassnahmen scheiterten am Druck der Gesundheitslobby.

«Zu einem früheren Zeitpunkt gab es den Fall eines Millionensalärs bei einer Krankenkasse und das war stossend.»

Flavia Wasserfallen

Nationalrätin SP Bern

Die SP arbeitet an einer Initiative zu einer Einheits-Krankenkasse. Was stellen Sie sich vor?

Wasserfallen: Genau. Die Schweiz stimmte bereits vor zehn Jahren über eine Einheitskasse ab, die Romandie stimmte damals mehrheitlich zu. Ich sehe den Vorteil einer Einheitskasse darin, dass man mehr Prävention machen könnte, heute bestehen dazu kaum Anreize. Heute wissen wir, dass alleine wegen der Krankenkassen-Wechsel jedes Jahr Kosten von bis zu 500 Millionen Franken entstehen. Das sind völlig unnötige Kosten. Dieser Pseudo-Wettbewerb unter den Krankenkassen hat nicht geholfen, die Kosten in den Griff zu bekommen und führt zum Teil bei der Vergütung von Medikamenten zu Ungerechtigkeiten.

Ist die Diskussion zehn Jahre nach der Ablehnung des Stimmvolkes verfrüht?

Silberschmidt: Nein, man darf immer Dinge fordern. Ich halte die Idee dennoch für falsch, weil ich den Bürger*innen die Wahlfreiheit lassen will. Ist man mit den Kosten oder dem Service unzufrieden, kann man wechseln. Bei der Einheitskasse ginge dies nicht. Wenn man seine Grund- und Zusatzversicherungen bei derselben Krankenkasse hat, ist dies schon der Effizienz förderlich. Ich kann meine Rechnungen an einen Ort senden und die Kasse kann diese dann ausbeineln.

«Millionensaläre für Krankenkassen-CEOs empfinde ich als zu hoch.»

Andri Silberschmidt

Nationalrat FDP Zürich

Zum Schluss: Sind die Löhne der Krankenkassen-Chefs zu hoch und braucht es einen Lohn-Deckel?

Wasserfallen: Ich stimme einem Plafond für die Löhne der Krankenkassen-Chefs zu. Zu einem früheren Zeitpunkt gab es den Fall eines Millionensalärs bei einer Krankenkasse und das war stossend. Ich würde mir in diesem Bereich mehr Sensibilität wünschen.

Und Sie, Herr Silberschmidt, sind dagegen, weil …

Silberschmidt: Weil es nichts bringt. Millionensaläre für Krankenkassen-CEOs empfinde ich als zu hoch. Würde der Gesetzgeber dies ändern, hätte der CEO wohl schliesslich zwei Arbeitsverträge. Ein Salär aus der Grund- und einen aus der Zusatzversicherung. Damit hätten wir mehr Bürokratie. Am Ende sind die Saläre ein Nebenschauplatz, ohne grosse Wirkung für das Gesamtsystem.

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