Verirrte Liebe im München-«Tatort» Gibt es wirklich Menschen, die Mörder lieben?

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7.4.2024

Eine Frau liebt einen Mörder – und stiftet ihn sogar zu neuen Taten an. Im Münchner «Tatort» bekamen es die Ermittler nicht nur mit einem grausamen Killer, sondern auch mit dessen hybristophiler Liebhaberin zu tun. Gibt es solche Fälle auch in der Realität?

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • 2025 ist im Münchner «Tatort»-Revier Schluss für Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl). Im «Tatort: Schau mich an» erwartete das Duo ein kniffliger Fall.
  • Eine Frau animierte ihren Partner zu schweren Straftaten. Doch ehe die Münchner Ermittler der hybristophilen Dame (Bonnie-and-Clyde-Syndrom) auf die Schliche kamen, war einiges Rätselraten angesagt.
  • Immerhin: Die Kommissare bekamen von einem «Tatort»-Kollegen einen wertvollen Tipp - dem Wiener Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer).

Es war schwere Kost, die Regisseur und Drehbuchautor Christoph Stark seinem Publikum im Münchner «Tatort: Schau mich an» auftischte. Verschnaufpausen gab es kaum – erst recht nicht für die Kommissare, die im Laufe dieses durchaus überraschenden Krimis sogar selbst in Not gerieten.

Eine Gefahr für die Ermittler stellte jedoch nicht nur der Täter Lukas Wagner (Sammy Scheuritzel) dar, sondern auch Lisa Berger (Aenne Schwarz). Als hybristophile Mittäterin stiftete sie ihren Partner zu schweren Straftaten an. Was hat es mit Hybristophilie – auch Bonnie-and-Clyde-Syndrom genannt – wirklich auf sich?

Worum ging es im «Tatort»?

Der Film begann mit einem sichtlich aufgebrachten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer), der durch die belebten Strassen der Münchner Innenstadt hetzte. Auch Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) schienen es eilig zu haben. Ihr Ziel: die Kanalisation unterhalb des Hauptbahnhofs. Gefunden wurde dort ein weiblicher Torso. Anhand der Verletzungen war erkennbar, dass das Opfer vor seinem Tod gefoltert worden war.

Überwachungskameras am Fundort gab es keine – und auch sonst war guter Rat teuer, bis kein Geringerer als Oberstleutnant Eisner (Harald Krassnitzer), bekannt als «Tatort»-Ermittler aus Wien, die Münchner Kommissare in einem kurzen Gastauftritt auf ein online veröffentlichtes Gewaltvideo hinwies. Der Clip, ein sogenannter Snuff-Film, zeigte die schwere körperliche Misshandlung und Ermordung einer gefesselten jungen Frau.

«Die Verletzungen, die Brandflecken, das passt alles ganz genau», stellte Batic fest. Der Verdacht lag nahe, dass es sich bei dem maskierten Peiniger um einen bislang nicht identifizierten Täter aus Österreich handelte, der in der Vergangenheit bereits durch die Veröffentlichung von Tierquälerei-Videos auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Worum ging es wirklich?

Hinter den grausamen Taten steckte der cholerische Einzelgänger Lukas Wagner (Sammy Scheuritzel). Wie im Laufe des Films klar wurde, handelte er jedoch nicht allein – ganz im Gegenteil: Lukas' Lebensgefährtin stiftete ihn zu Folter und Mord an und entführte sogar eigens neue Opfer für Lukas. Ebenso schockierend war, dass es sich bei der Mittäterin um Lisa Berger (Aenne Schwarz) handelte. Letztere unterstützte die Kommissare als Expertin vermeintlich bei ihren Ermittlungen zum Fall.

Es war Kalli, der schliesslich den Begriff Hybristophilie in die Runde warf. Im «Tatort» wurde das schwer zu erklärende Phänomen lediglich erzählt – und nicht final aufzuklären versucht. Klar ist, dass es die seltene Störung gibt – was nicht zuletzt unzählige Liebesbriefen an nahezu sämtliche prominenten Serien- und Massenmörder, die weltweit in Gefängnissen einsitzen, beweisen.

Gibt es Hybristophilie tatsächlich?

Auch wenn Hybristophilie Schätzungen zufolge selten vorkommt: Das umgangssprachlich oft als Bonnie-und-Clyde-Syndrom bezeichnete Phänomen tritt nicht nur in Film und Fernsehen, sondern auch in der Realität auf. Bei Hybristophilie handelt es sich um eine seltene sexuelle Störung, bei der sich Betroffene zu kriminellen Personen hingezogen fühlen. Die Objekte der Begierde sind meist Schwerkriminelle, also Gewaltstraftäter, Vergewaltiger und Mörder.

Ob die Zuneigung – wie im «Tatort» – auf Gegenseitigkeit beruht oder einseitig bleibt, spielt keine Rolle. Unterschieden werden kann indes zwischen aktiver Hybristophilie, bei der Betroffene zu Mittätern werden, und passiver Hybristophile, bei der Betroffene selbst keine Verbrechen begehen wollen.

Warum werden Menschen hybristophil?

Noch ist das Bonnie-und-Clyde-Syndrom zu weiten Teilen unerforscht, verlässliche Studien gibt es kaum. Die Gründe für Hybristophilie sind vielfältig und können psychologische, soziologische und biologische Faktoren umfassen.

Manche Theorien besagen, dass die Anziehung zu gefährlichen Personen auf den Wunsch nach dem ultimativen Nervenkitzel zurückgeführt werden kann. Andere Theorien legen nahe, dass die Fixierung auf straffällige Menschen eine Form des extremen Helfersyndroms darstellen könnte, bei dem die Betroffenen glauben, den kriminellen Partner retten oder verändern zu können.

Wie verbreitet ist Hybristophilie?

Immer wieder hört man davon, wie prominente Schwerverbrecher umschwärmt werden: Der US-amerikanische Serienmörder John Wayne Gacy etwa erhielt nach seiner Verhaftung einen Heiratsantrag. Josef Fritzl oder auch Anders Breivik sollen im Gefängnis hunderte Liebesbriefe von verschiedenen Frauen bekommen haben, und bei Ted Bundys öffentlicher Gerichtsverhandlung sassen Groupies im Publikum.

Die mediale Aufmerksamkeit für solche Einzelfälle könnte zwar den Eindruck einer höheren Verbreitung erwecken, doch Hybristophilie wird in der wissenschaftlichen Literatur als seltenes Phänomen beschrieben. Grundsätzlich gestaltet es sich schwierig, die genaue Verbreitung in der Bevölkerung zu bestimmen – auch, weil viele Fälle vermutlich unberichtet bleiben.

Wie geht es mit dem München-«Tatort» weiter?

Ein paar Fälle noch, dann ist die langjährige «Tatort»-Karriere von Miroslav Nemec (69) und Udo Wachtveitl (65) vorbei. Seit dem 1. Januar 1991 ermitteln sie gemeinsam als Ivo Batic (Nemec) und Franz Leitmayr (Wachtveitl), 94 Folgen der Reihe hat das Erste in den vergangenen 33 Jahren ausgestrahlt. «Der Tatort ist das längste gschlamperte Verhältnis, das ich je hatte», scherzte Udo Wachtveitl in einer BR-Mitteilung zum baldigen Abschied.

Miroslav Nemec verwies an gleicher Stelle darauf, dass man zum Abschied «augenzwinkernd eine ‹magische Zahl» gesucht habe: «99 war der Favorit», so der Batic-Darsteller. «Doch die Verantwortlichen des BR boten uns – wenn wir wirklich gehen wollen – eine 'runde› Zahl an: die 100. Da wir uns in diesem Fall nicht in der Mitte treffen konnten, also bei 99,5, haben wir uns auf die runde 100 geeinigt.»

Bevor Leitmayr und Batic 2025 Lebewohl sagen, folgt noch in diesem Jahr Fall 96. Der Film mit dem Titel «Tatort: Charlie» (Regie: Lancelot von Naso) führt die Kommissare auf Militärgelände. Ein genauer Ausstrahlungstermin ist noch nicht bekannt.