Gewaltsamer Umsturz geplant Zweiter Terrorprozess um deutsche «Reichsbürger»-Gruppe begonnen

dpa

21.5.2024 - 19:38

Eine Gruppe von «Reichsbürgern» plante laut der deutschen Bundesanwaltschaft den gewaltsamen Umsturz. Nun stehen unter anderem die mutmasslichen Rädelsführer in Frankfurt vor Gericht.

21.5.2024 - 19:38

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  • Laut der Bundesanwaltschaft planten eine «Reichsbürger»-Gruppe einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland, inklusive Sturm auf den Bundestag.
  • Nun hat der zweite von insgesamt drei Mammutprozessen gegen die «Reichsbürger»-Gruppierung um Prinz Reuss begonnen.
  • Unter den Angeklagten ist auch eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der Partei Alternative für Deutschland (AfD).

Militärischer Gruss, Umarmungen und ein zäher Start: Unter enormen Sicherheitsvorkehrungen hat am Dienstag in Frankfurt am Main der «Reichsbürger»-Prozess um Heinrich XIII. Prinz Reuss begonnen.

Die neun Angeklagten - darunter Ex-Militärs, ein Adeliger und eine ehemalige Bundestagsabgeordnete - wirken alles andere als eingeschüchtert. Es wird gelacht, getuschelt, mit Verteidigern umarmt und der militärische Gruss zu mutmasslich Gleichgesinnten gezeigt. Was zum Auftakt dann allerdings erst einmal folgt: langwierige Anträge der Verteidiger, Gerichtsberatungen und Pausen.

Der Prozess vor dem Oberlandesgericht startet mit rund einer Dreiviertelstunde Verspätung in der eigens für das Verfahren errichteten Metall-Leichtbauhalle am Rand der westdeutschen Stadt. Eine Gerichtssprecherin weist Medienvertreter darauf hin, dass einige Anwälte noch mit ihren Mandanten sprechen wollten, «an uns, dem Oberlandesgericht, lag es nicht». Rund 20 Anwälte zählt der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk - mehrere fehlen unangekündigt. Einige der Anwesenden stellen dann zahlreiche Anträge, die das Gericht nach Beratungspausen grösstenteils ablehnt. Denn zunächst solle die Anklageschrift verlesen werden.

617 Seiten umfasst diese, in der Verhandlung wird allerdings nur ein Anklagesatz von 65 Seiten vorgetragen. Mehr als zwei Stunden erläutert die Bundesanwaltschaft ihre Anklagepunkte. Sie wirft den neun Männer und Frauen vor, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese unterstützt zu haben. Prinz Reuss habe dabei als ein Rädelsführer agiert, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Tobias Engelstetter, in seinem Vortrag.

Eigene Staatsordnung ausgearbeitet

Die terroristische Vereinigung sei Ende Juli 2021 gegründet worden. Eine bewaffnete Gruppe habe in das Reichstagsgebäude in Berlin eindringen und Bundestagsabgeordnete sowie Mitglieder der deutschen Regierung festnehmen sollen. Die Anklage lautet teilweise auch auf die Planung eines hochverräterischen Unternehmens. Auch der Verstoss gegen das Waffengesetz zählt zu den Vorwürfen gegen einen Teil der Angeklagten.

Konkret heisst es in der Anklage, die Gruppe habe es sich zum Ziel gesetzt, «die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen». Die Angeklagten seien durch Verschwörungstheorien und Narrative von «Reichsbürgern» miteinander verbunden gewesen. Prinz Reuss habe sich mit den Plänen auch an Vertreter Russlands gewandt.

Die Bundesanwaltschaft gibt auch Einblicke, wie ein solcher Staat nach Auffassung der Gruppe aussehen solle. An der Spitze solle ein Adliger stehen, in Person von Prinz Reuss. Für den Bereich Justiz war die ehemalige Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen Partei AfD und Berliner Ex-Richterin Birgit Malsack-Winkemann vorgesehen. Auch weitere Ressorts waren schon mit Personal besetzt.

Nach der geplanten Machtübernahme sollten nach Willen der Gruppe auch die Behörden umstrukturiert werden. Laut Anklage sollten unter anderem Beamte entlassen werden, die sich freiwillig mit einem mRNA-Impfstoff gegen Corona impfen liessen.

Schiesstraining veranstaltet

Immer wieder geht es am Dienstag im Gerichtssaal um den geplanten bewaffneten Übergriff auf das Reichstagsgebäude. Dafür habe Malsack-Winkemann weitere Mitglieder durch die Liegenschaften des Bundestags geführt, dabei seien Fotos mit dem Smartphone gemacht worden. Zur Vorbereitung sei auch ein Schiesstraining veranstaltet worden.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hatte die Gruppe Zugriff auf ein massives Waffenarsenal, bestehend aus rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffen- sowie mindestens 148'000 Munitionsteilen. Zudem verfügten sie für ihre Umsturzpläne über etwa eine halbe Million Euro. Wiederholt wurde laut Bundesanwaltschaft militärisches Personal rekrutiert. Als Spitze des sogenannten militärischen Arms ist Rüdiger von Pescatore angeklagt, neben Reuss laut Anklage der zweite Rädelsführer.

Die sogenannten Reichsbürger in Deutschland behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) weiter existiert. Die Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an. Für die Angeklagten gilt bis zu einem etwaigen Urteil die Unschuldsvermutung. Die Anwälte von Reuss erklären am Rande des Prozesses mehrfach vor Journalisten, ihr Mandant sei kein Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung gewesen. Dies wolle er auch in dem Verfahren darlegen. Die Verteidiger kritisieren zudem, dass das Verfahren auf drei Standorte aufgeteilt wurde.

Insgesamt drei Prozesse

Das Verfahren ist das zweite von insgesamt drei Mammutprozessen gegen die Gruppe: Ende April hatte in Stuttgart der Prozess gegen mutmassliche Vertreter des militärischen Arms begonnen. In München stehen ab dem 18. Juni die übrigen mutmasslichen Mitglieder der Gruppe vor Gericht. Die Verschwörungspläne waren nach einer grossangelegten Anti-Terror-Razzia im Dezember 2022 bekannt geworden.

Schon die Zahlen zum Prozess in Frankfurt sind eindrücklich: Neben den neun Angeklagten sind fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 25 Verteidiger im Prozess dabei. Rund 260 Zeugen sollen geladen werden. Die Dokumente zum Prozess sind laut dem Gericht in 801 Stehordnern abgelegt. Es wird mit einer langen Prozessdauer gerechnet, Termine sind bis ins kommende Jahr hinein festgelegt worden.

Den Angeklagten drohen laut Gericht bis zu zehn Jahre Haft, wenn sie in einem Anklagepunkt schuldig gesprochen werden. Im Falle mehrerer Schuldsprüche und einer Gesamtstrafe wären es maximal 15 Jahre Haft.

dpa