Fragen und Antworten Was ein Haftbefehl gegen Netanjahu bedeuten würde

dmu

21.5.2024

Gegen ihn und weitere Personen hat IStGH-Chefankläger Karim Khan einen Haftbefehl beantragt: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Gegen ihn und weitere Personen hat IStGH-Chefankläger Karim Khan einen Haftbefehl beantragt: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Ohad Zwigenberg/AP/dpa

Drei Richterinnen entscheiden über den möglichen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef, dessen Verteidigungsminister und Anführer der Hamas. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fall. 

dmu

21.5.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Montag wurde bekannt, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs einen Haftbefehl gegen den Ministerpräsidenten und Verteidigungsminister Israels sowie führende Köpfe der Hamas beantragt hat.
  • Die internationale Gemeinschaft hat unterschiedlich auf das Vorgehen des Gerichtshofs reagiert.
  • Hier findest du Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Fall.

Der Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dessen Verteidigungsminister Joav Galant, den Anführer der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, und weitere Hamas-Führungspersönlichkeiten beantragt. Das teilte der Gerichtshof in Den Haag am Montag mit.

Was hat die Ankündigung für Folgen? Welche Konsequenzen drohen? Und wer steckt hinter dem Antrag? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer steckt hinter dem beantragten Haftbefehl?

Eingereicht hat den Antrag Karim Khan, Chefankläger des IStGH. Dabei konnte er auf den Rat von zahlreichen juristischen Sachverständigen zählen – und hatte prominente Hilfe: Die bekannte Menschenrechtsanwältin Amal Clooney bewertete Beweise für die mutmasslichen Kriegsverbrechen. Als Ehefrau von Hollywood-Star George Clooney ist sie regelmässig auf roten Teppichen zu sehen.

Wie lauten die Vorwürfe?

Netanjahu und Galant werden von Khan unter anderem beschuldigt, für das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie für willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein. Khan betonte zwar das Recht Israels, seine Bevölkerung gegen alle Angriffe zu verteidigen. Er erklärte jedoch zugleich, dieses Recht entbinde Israel nicht von der Pflicht, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.

Den Hamas-Führern wirft der Ankläger unter anderem «Ausrottung» sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Er forderte die Terrororganisation auf, alle israelischen Geiseln umgehend freizulassen und für die «sichere Rückkehr zu ihren Familien» zu sorgen.

Wer entscheidet über den Antrag?

Ob die beantragten Haftbefehle erlassen werden, müssen nun die Richter der Vorverfahrenskammer des IStGH entscheiden. Wenn sie die Tatvorwürfe als bestätigt ansehen, kann das Hauptverfahren gegen die Beschuldigten eingeleitet werden. In der zuständigen Kammer des IStGH sitzen drei Richterinnen: Den Vorsitz hat die Richterin Iulia Motoc aus Rumänien, dazu kommen die mexikanische Richterin Maria del Socorro Flores Liera und die Richterin Reine Alapini-Gansou aus Benin.

Welche Konsequenzen hat ein Haftbefehl?

Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle selbst zu vollstrecken. Jedoch ist die Bewegungsfreiheit der Gesuchten dadurch erheblich eingeschränkt ist. Denn im Falle von Haftbefehlen sind alle Vertragsstaaten des Gerichts verpflichtet, die Beschuldigten festzunehmen und nach Den Haag zu überstellen, sobald sie sich in ihrem Land befinden. 139 Staaten weltweit haben das Römische Statut – die vertragliche Grundlage des IStGH – unterzeichnet, 124 davon haben es ratifiziert, auch die Schweiz. Israel gehört neben den USA, Russland und China zu den Staaten, die das Gericht nicht anerkennen. Aber die palästinensischen Gebiete sind Vertragsstaat. Daher darf der IStGH-Ankläger auch ermitteln.

Politikern oder Diplomaten ist es allerdings nicht untersagt, Personen zu treffen, gegen die ein IStGH-Haftbefehl vorliegt. Die diplomatischen Konsequenzen halten sich entsprechend in Grenzen.

Wie reagieren die Betroffenen?

«Das ist eine vollständige Verzerrung der Realität», sagte Netanjahu am Montag in einer auf der Plattform X veröffentlichten Videobotschaft. Der «absurde» und falsche Antrag richte sich nicht nur gegen ihn und Galant, «er richtet sich gegen den gesamten Staat Israel». Der Antrag sei ein Beispiel eines «neuen Antisemitismus», der von Universitätsgeländen nach Den Haag gezogen sei, sagte Netanjahu mit Anspielung auf die propalästinensischen Proteste an Hochschulen.

Die Hamas kritisierte ihrerseits die Anträge des Chefanklägers auf Haftbefehle gegen ihre Anführer. «Seine Entscheidung vergleicht das Opfer mit einem Henker und ermutigt die (israelische) Besatzung, den genozidalen Krieg fortzusetzen», hiess es in einer Stellungnahme, die von dem Hamas-nahen TV-Sender Al-Aksa verbreitet wurde. In einer weiteren am Montagabend veröffentlichten Stellungnahme forderte die Hamas zudem eine Strafverfolgung aller israelischen Befehlshaber.

Wie sehen die internationalen Reaktionen aus?

Heftige Kritik am Vorgehen des IStGH kam insbesondere aus den USA. Israel und die islamistische Hamas dürften nicht gleichgestellt werden, teilte US-Präsident Joe Biden am Montag mit. Man werde Israel immer bei Bedrohungen gegen die Sicherheit des Landes zur Seite stehen, so Biden weiter. Ähnlich äusserte sich US-Aussenminister Antony Blinken. Dass Haftbefehle für hochrangige israelische Beamte zusammen mit Haftbefehlen für Hamas-Terroristen beantragt worden seien, sei «beschämend».

Zuvor hatte bereits Österreichs Regierungschef Karl Nehammer (ÖVP) auf der Plattform X moniert, «dass die Anführer der Terrororganisation Hamas, deren erklärtes Ziel die Vernichtung des Staates Israels ist, in einem Atemzug genannt werden mit demokratisch gewählten Vertretern eben dieses Staates». Österreich gehört zu den Ländern, die das Selbstverteidigungsrecht Israels im Gaza-Krieg besonders betonen.

Andere Landesvertreter wie der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa hingegen begrüssen das Vorgehen des Chefanklägers. Südafrika hatte seinerseits den Internationalen Gerichtshof in Den Haag wiederholt zu Massnahmen gegen Israel aufgefordert und dem Land Völkermord vorgeworfen.

Der Bundesrat hat sich bis anhin nicht zu den beantragten Haftbefehlen geäussert.

Wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?

Es gibt keine Frist, innerhalb derer die Richterinnen entscheiden müssen, ob sie einen Haftbefehl erlassen. In früheren Fällen haben Richter zwischen einem Monat und mehreren Monaten für eine Entscheidung gebraucht.

Mit Material der Nachrichtenagentur DPA

Mehr Videos zum Thema

Schwarmangriff auf Schutzschild: So konnte die Hamas Israels «Iron Dome» aushebeln

Schwarmangriff auf Schutzschild: So konnte die Hamas Israels «Iron Dome» aushebeln

Allein in den ersten beiden Kriegstagen soll die palästinensische Hamas 3500 Raketen auf Israel abgefeuert haben. Ein solch massiver Angriff zeigt auch die Grenzen des israelischen Raketenabfangsystems auf.

09.10.2023