«Stella. Ein Leben.» Die Jüdin, die andere Juden an die Nazis verriet

Von Fabian Tschamper

28.1.2024

Die deutsche Schauspielerin Paula Beer spielt in «Stella. Ein Leben.» die Hauptfigur der Stella Goldschlag.
Die deutsche Schauspielerin Paula Beer spielt in «Stella. Ein Leben.» die Hauptfigur der Stella Goldschlag.
DCM

Stella Goldschlag entlarvte im Zweiten Weltkrieg untergetauchte Juden für die Nazis. Hatte die Jüdin keine andere Wahl? Oder tat sie dies aus freien Stücken? «Stella. Ein Leben.» versucht, die tragische Figur zu verstehen.

Von Fabian Tschamper

28.1.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Stella Goldschlag wollte eigentlich nach Amerika auswandern und als Sängerin durchstarten. Doch alles kam anders.
  • Die deutsche Jüdin begann in ihrem Streben nach Ruhm, die eigenen untergetauchten Leute zu verraten.
  • «Stella. Ein Leben.» zeigt ihre Ambitionen, die Folter und fragt: Warum hat sich Stella Goldschlag wirklich auf die Nazis eingelassen?

In einem verrauchten Lokal spielt eine Jazz-Band, eine junge, blonde Frau singt. Es ist Stella Goldschlag. Ihre Geschichte sollte eine ganze Nation spalten.

Ursprünglich hatte sie den Traum, nach Amerika auszuwandern und dort als Jazz-Sängerin gross herauszukommen. Doch da die Nazis in Deutschland an die Macht gelangten, musste sie ihren Traum schnell aufgeben. Auf der Flucht half ihr vermehrt, dass sie generell als «Schönheit» betrachtet worden ist. Ihre blauen Augen und ihr blondes Haar sorgten zudem dafür, den Nazis nicht als Jüdin aufzufallen.

Im Film von Kilian Riedhof wird Stella als ambitionierte Frau dargestellt. Sie wollte zu Ruhm kommen – auf welche Art, das war ihr je länger, je mehr egal.

Von der Gestapo gefoltert

Nach dem Rückschlag, nicht auswandern zu können, ist Stella vermehrt hoffnungslos. Ihre Familie und Freunde müssen sich in Berlin vor den Nazis verstecken. Als sie eines Abends die Sperrfrist ignoriert und durch die Strassen streift, fällt sie aufgrund ihrer Schönheit einem jungen Gestapo-Offizier auf. Er spricht sie an, nicht ahnend, dass sie eine Jüdin ist – entspricht sie doch dem Ideal der Nazis mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen.

Aus Goldschlags Leben wird eine Tragödie, als sie durch einen Verrat von den Nazis festgenommen wird. Die Gestapo foltert und zwingt sie, als «Greiferin» zu arbeiten.

Als Jüdin verrät sie andere untergetauchte Juden in Berlin. Mit den Monaten geniesst sie höheres Ansehen bei den Nazis – und beginnt, ihre Position zu verteidigen.

Regisseur Kilian Riedhof spricht im Interview über die Faszination Stella Goldschlag, denn sie war Täterin und Opfer zugleich.

Regisseur Kilian Riedhof zu «Stella. Ein Leben.»

Regisseur Kilian Riedhof zu «Stella. Ein Leben.»

Kilian Riedhof ist fasziniert von der Geschichte von Stella Goldschlag. Die Ambivalenz der Person brachte ihn dazu, einen Film über die jüdische «Greiferin» zu drehen.

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Während ihrer Zeit als Greiferin lernt sie zudem Rolf Isaaksohn (Jannis Niewöhner) kennen. Er ist Passfälscher und ein listiger Kerl – das gefällt Stella. Isaaksohn hilft den Juden, an neue Pässe zu kommen, doch er nimmt sie auch aus: Den «stinkreichen Juden» verlangt er mehr Geld ab für seine Dienste. Und bald schon ist auch er hoch motiviert fürs eigene Überleben, Juden an die Nazis zu verraten.

Stella und Rolf heiraten 1944. Er ist ihr zweiter Ehemann. Am Ende ihrer Geschichte sollten es fünf Ehemänner sein.

Ein gebrochener Mensch

Die Beziehung zwischen Rolf und Stella ist toxisch. Sein fehlender Skrupel betrifft nicht nur das jüdische Volk, sondern auch das Leben mit seiner Frau. Als «Greifer»-Paar sind die für die Nazis sehr nützlich – und machen trotz Auseinandersetzungen, sogar sexuellen Übergriffen, weiter gemeinsame Sache.

Jannis Niewöhner erzählt im Interview, wie er zu dieser realen, abstossenden Figur gefunden hat – und warum es Spass machen darf, jene zu spielen.

Jannis Niewöhner zu «Stella. Ein Leben.»

Jannis Niewöhner zu «Stella. Ein Leben.»

Der deutsche Schauspieler spricht im Interview darüber, eine echte Person darzustellen, wie die Arbeit mit Joel Basman war – und warum eine abstossende, reale Figur trotzdem Spass machen kann.

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Das Drama «Stella. Ein Leben.» zeigt deutlich, wie ein Mensch durch seine Umgebung eine 180-Grad-Wende hinlegen kann. Oder dazu gezwungen wird. Und wie sich ein Mensch durch psychische und physische Folter brechen lässt.

Streckenweise ist der Film nichts für schwache Nerven. Speziell die Folterszene im Büro der Gestapo ist brutal.

Die Charakterentwicklung von Stella Goldschlag ist zudem ebenfalls stark umgesetzt – wenn auch etwas abrupt gegen Schluss. Stella hadert nur zu Beginn mit sich und lässt dann schlicht geschehen, was mit ihr passiert. Am Ende verteidigt sie die Nazis und ihre Machenschaften, was im Publikum zu grosser Abneigung ihr gegenüber führt.

Stella Goldschlag und ihr Verteidiger bei einer weiteren Anhörung 1957 nach ihrem zehnjährigen Gefängnisaufenthalt: Sie weist jegliche Schuld von sich. Die meisten Juden, die sie an die Nazis verraten hatte, starben in Konzentrationslagern.
Stella Goldschlag und ihr Verteidiger bei einer weiteren Anhörung 1957 nach ihrem zehnjährigen Gefängnisaufenthalt: Sie weist jegliche Schuld von sich. Die meisten Juden, die sie an die Nazis verraten hatte, starben in Konzentrationslagern.
imago/ZUMA/Keystone

Sie hat abscheuliche Taten auf dem Gewissen – doch scheint sie sie nicht zu bereuen.

Nach dem Krieg konvertierte sie zum Christentum und wurde bekennende Antisemitin. Stella Goldschlag verbrachte insgesamt zehn Jahre im Gefängnis für ihre Taten – von 1946 bis 1956. Ihre fünf Ehemänner starben alle vor ihr, ihre Tochter wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben.

1994 starb Stella Goldschlag im Alter von 72 Jahren an Ertrinken in einem Weiher in Freiburg-Landwasser. Es wird von Suizid ausgegangen.

«Stella. Ein Leben.» ist eine blue Koproduktion und läuft ab 27. Januar in allen blue Cinema Kinos.


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