Hurra, wir campen Gibt's etwas Schöneres als ein Zelt in der prallen Sonne am WC-Weg?

Von Michael Angele

21.8.2022

Unverhofftes Glück: Die deutschen Stecker passen in die Buchsen des Verteilerkastens auf dem Campingplatz am Bielersee.
Unverhofftes Glück: Die deutschen Stecker passen in die Buchsen des Verteilerkastens auf dem Campingplatz am Bielersee.
Michael Angele

Die Schweizer fliegen wieder ins Ausland, nur die Baselländer campen zu Hause. Auch unser Autor kann von Zeltferien am Bielersee nicht lassen – trotz kniffliger Etikette.

Von Michael Angele

21.8.2022

Letztes Jahr fielen unsere Campingferien buchstäblich ins Wasser. Ich musste über eine Katastrophe berichten. Dieses Jahr schien die Sonne von früh bis spät auf unser Zelt. Leider hatte ich es versäumt, eine Parzelle zu reservieren, auf die der erfrischende Schatten eines Baumes fällt. Es sind solche Feinheiten, die das Camping-Erlebnis in der Summe so stark prägen können wie ein Vorzelt, das unter den Wassermassen einstürzt.

Von diesen Feinheiten soll hier die Rede sein.

Zum Beispiel: Es macht einen Unterschied, ob der Mensch über einen Rasen oder über Kies läuft. Jedenfalls in der Nacht, und jedenfalls für den, dem ein Platz für sein Zelt nicht nur in der prallen Sonne, sondern auch direkt am Weg zugewiesen wurde.

Gehört zur modernen Campingplatz-Architektur: ein Fasshäuschen.
Gehört zur modernen Campingplatz-Architektur: ein Fasshäuschen.
Michael Angele

Ich habe einen leichten Schlaf und jedes Mal, wenn wieder jemand zu den Toiletten gehen musste, wachte ich auf, und fragte mich, ob man von seinen Mitmenschen nicht erwarten kann, dass sie auf dem Rasen neben dem Kiesweg gehen. Aus Rücksicht, oder neumodisch: aus Achtsamkeit. Kann man nicht. Ich fluchte still in den Schlafsack, und fragte mich, wer alles gerade noch still in den Schlafsack flucht.

Was, wenn die Milch ausläuft?

Zweites Beispiel für den kleinen Unterschied ums Ganze: Neben dem Abwaschraum gibt es einen grossen Kühlschrank, in dem die Camper ihre verderbliche Ware verstauen können. Die einen packen ihre Butter oder ihr Bier in eine Plastiktüte, die anderen verteilen ihre Dinge «ungezwungen» übers Fach.

Zum Autor: Michael Angele

Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele schreibt für die Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt.»

Die, die ihre Dinge im Plastiksack verstauen, müssen aufpassen, dass beim Rausziehen des Sackes die Milch der anderen nicht ausläuft. Das gelingt nicht immer. Den Schaden haben dann die, die keinen Plastiksack verwenden. Der Gott der kleinen Dinge des Campingplatzes ist gerecht.

Letztes Beispiel. Nachtruhe. In der Theorie klar, in der Praxis knifflig. Wer dringend schlafen möchte, aber nicht kann, muss entscheiden, was ihm wichtiger ist: Sein Schlaf, oder auf dem Platz als unsympathischer Spiesser zu gelten. Ich habe einen Kompromiss gefunden, und einmal um 23 Uhr meine Baselländer Nachbarn darauf hingewiesen, dass ja eigentlich schon seit einer Stunde Nachtruhe sei.

Für Nachwuchscamper wichtig: Handystrom und WLAN-Router. Im Hintergrund der Kiesweg.
Für Nachwuchscamper wichtig: Handystrom und WLAN-Router. Im Hintergrund der Kiesweg.
Michael Angele

Sicher bis 150 Grad Celsius

Aber natürlich ist Zelten kein Höllentrip, sondern eine feine Sache. Dies verdankt sich nicht zuletzt den unerwarteten Entdeckungen. So stellte mein Sohn begeistert fest, dass ein WLAN-Router ganz nahe war. Hervorragender Empfang. Ich wiederum entdeckte einen Wasserhahn keinen Meter neben der Parzelle. Bei der Hitze Gold wert.

Kann der Klimawandel eigentlich für das Kochen mit Gas gefährlich werden? Kann eine Gasflasche explodieren? Ich geriet in Panik und rief den Flüssiggas-Kontrolleur, dessen Nummer ich neben der Rezeption fand. Der Flüssiggas-Kontrolleur konnte mich beruhigen. Erst ab 150 Grad Celsius kann eine Flasche explodieren. Es sei noch nie vorgekommen.

Protz-Camper hier, Favelas auf höchstem Niveau dort

Anders als letztes Jahr, als wir eine gleichrangige Katastrophengemeinschaft bildeten, wurde mir jetzt klar, dass auch auf einem Campingplatz feine soziale Unterschiede herrschen. Am westlichen Tor zu den Parkplätzen stand ein imposanter, mit allerhand Anbauten versehener Caravan, der mich an Roma-Paläste in Rumänien erinnerte.

Ebenfalls an den Toren gibt es auf diesem Zeltplatz eine Reihe von Fasshütten, die allesamt von kerngesunden Schweizer Kleinfamilien bewohnt werden. Soweit ich es beurteilen konnte. Denn der Grad der Privatheit ist anders als bei einem Zelt oder einem Wohnmobil schon so hoch, dass man beim Vorübergehen automatisch wegschaut.

Das Beste der Schweiz auf engstem Raum: Dauercamper-Randbebauung einer Zeltwiese.
Das Beste der Schweiz auf engstem Raum: Dauercamper-Randbebauung einer Zeltwiese.
Michael Angele

Das ganze Bild des Campierens ergibt sich aber erst durch die Umgebung des Platzes. Jemand, dem unsere Kultur fremd ist, könnte meinen, der Platz werde gesäumt von Favelas auf höchstem Niveau: Gut hundert Häuschen auf engstem, oft zubetoniertem, seltener wild bepflanztem Raum, würde ich von einer helvetischen Mischung aus Atombunker und Paradiesgärtchen sprechen.

Dem Holländer gefällt's, dem Baselländer sowieso

Es wehen viele Basler Flaggen. Mein Onkel bestätigte mir, dass der Bielersee immer schon viele Basler angezogen habe. Vor dem Restaurant Drei Fische in Lüscherz sehe man manchmal überhaupt nur Autos mit Basler Kennzeichen. Warum, wusste er nicht.

Auf dem Campingplatz sieht man wiederum recht viele ausländische Kennzeichen. Während die Schweizer nach den beiden Pandemie-Jahren wieder verstärkt ins Ausland reisen, kommen Briten, Deutsche und natürlich Holländer an den See. «Da schau, der Holländer, er könnte ja weiterfahren, zum Beispiel schon nur an den Neuenburger See, aber es gefällt ihm hier. Hier und nirgendwo anders», geht einem das Herz auf.

Denn was gibt es Schöneres, als mit dem Sonnenaufgang aus dem Zelt zu steigen, am Kiesweg entlang zum Ausgang zu gehen, die Favelas zu durchschreiten, hinter dem Bel Lago den Strand zu erreichen und in den klaren und frischen See zu springen?

Ach, der Bielersee: Am Ende ist alles gar nicht so schlimm.
Ach, der Bielersee: Am Ende ist alles gar nicht so schlimm.
Michael Angele