Bündner lebt seit 30 Jahren in Costa Rica «Hier ist nicht alles so bünzlig wie in der Schweiz»

Vanessa Büchel

19.5.2024

Vor 30 Jahren hat Reto Patt die Schweiz hinter sich gelassen. Seither lebt der Bündner in Costa Rica, wo er eine Sprachschule führt. Mit blue News hat er darüber gesprochen, was es für erfolgreiches Auswandern braucht.

Vanessa Büchel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • 1994 ist Reto Patt nach Costa Rica ausgewandert.
  • Der Bündner führt zusammen mit seiner Frau Shirley, die ursprünglich aus Bolivien stammt, eine Sprachschule in Tamarindo an der Pazifikküste.
  • Während seiner 30 Jahre in der zentralamerikanischen Schweiz hat der gelernte Lehrer Höhen und Tiefen erlebt. 
  • Wichtig sei für ihn gewesen, aus jedem Tag das Beste rauszuholen und sich durchzubeissen.
  • Auch im Alter wolle er nicht gänzlich zurück in die Schweiz – aber für immer in Tamarindo bleiben, sei auch nicht der Plan. 

Seit Reto Patt vor 30 Jahren nach Costa Rica ausgewandert ist, hat sich vieles in seiner neuen Heimat verändert. Den gebürtigen Bündner hat es in den Surferort Tamarindo verschlagen, wo der 57-Jährige zusammen mit seiner Frau Shirley (59) die Sprachschule Wayra führt. Heute sei das einstige «Fischerörtle» kaum wiederzuerkennen.

«Als ich 1994 hier ankam, war Tamarindo noch sehr klein und hatte etwa 600 Einwohner. Heute ist es ein boomender Touristenhotspot und deutlich gewachsen», erklärt der gelernte Primarlehrer, als blue News ihn in der zentral gelegenen Sprachschule besucht. 

Reto Patt führt seit 1998 zusammen mit seiner Frau Shirley die Sprachschule Wayra in Tamarindo, Costa Rica. Eröffnet hat Shirley die Schule bereits 1996.
Reto Patt führt seit 1998 zusammen mit seiner Frau Shirley die Sprachschule Wayra in Tamarindo, Costa Rica. Eröffnet hat Shirley die Schule bereits 1996.
Vanessa Büchel

Das habe – wie alles andere auch – seine Vor- und Nachteile. «Heute haben wir eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur mit Supermärkten, Shops, Schulen und allem, was man braucht, aber mittlerweile eben auch viel zu viele Menschen, Touristen als auch Einwohner», so Patt nachdenklich. Einstiges Grün sei Wohnblöcken, Hotelbunkern und Einkaufscentern gewichen.

Im Innenhof der Sprachschule rascheln die saftig grünen Bäume noch immer im Wind. Ein Tukan sitzt auf einem Ast und geniesst die kleine Oase inmitten eines immer geschäftiger werdenden Ortes. Fast täglich würden sich hierhin auch Affen verirren, die für die Schüler immer eine Attraktion sind. «Wir haben bewusst um die Bäume herum gebaut und wollten die Anlage so naturnah wie möglich belassen, um den einheimischen Tieren ihren Lebensraum nicht wegzunehmen.»  

Als Privatlehrer nach Costa Rica

Schon seit er jung war, habe Reto Patt einen «Zug» in Richtung Lateinamerika verspürt, wie der Bündner im Gespräch gesteht. «Ich fühlte mich schon immer von den Leuten, Kulturen, Ländern und dem Klima angezogen.» 

Zu Beginn der 1990er-Jahre, bevor er 1994 den Entschluss zum Auswandern fasste, machte der Lehrer eine Reise durch verschiedene Länder Mittel- und Südamerikas. Auch Costa Rica besuchte er, in Tamarindo war er damals aber noch nicht. Dass dieses kleine Land – das auch als die zentralamerikanische Schweiz bezeichnet wird – einmal seine neue Heimat werden würde, ging ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht durch den Kopf. 

Zurück in der Schweiz entdeckte Patt schliesslich eine Anzeige in der Bündner Zeitung. «Die Schweizer Besitzerfamilie des Hotels Capitán Suizo suchte für ihre Kinder einen Privatlehrer. Ich meldete mich sofort darauf und kam so zu meinem ersten Job in Costa Rica. Das ist genau 30 Jahre her.»

Schweiz Lateinamerikas ist weniger «gut organisiert»

Seither lebt Reto Patt in Tamarindo. Vermisst habe er die Schweiz in dieser Zeit nie wirklich. Und bis heute hat für den Lehrer sein neues Zuhause nichts an seinem Zauber verloren. «Wenn ich Costa Rica für eine Zeit verlasse und dann wieder zurückkomme, erkenne ich immer wieder aufs Neue, was für ein schöner Ort es ist.» 

Wenn er aber ganz ehrlich sei, habe es in den 30 Jahren ab und zu doch Momente gegeben, in denen er gewisse Dinge aus der «gut organisierten» Schweiz vermisst hätte. «Ich musste einsehen, dass es hier einfach anders läuft als in der Schweiz. Wenn wir beispielsweise Arbeiten in der Schule machen lassen, müssen wir vor Ort sein, ansonsten geht es einfach nicht vorwärts.»

Zuverlässigkeit sei nicht das höchste Gebot der «Ticas» und «Ticos», «Pura Vida» oder «Mañana» dann schon eher ihre Mentalität. «Das ist ja lässig, wenn du hier in den Ferien bist, aber im Alltag kann das manchmal zu Problemen führen.»

Emmi-Fondue hilft gegen Heimweh

Ganz in die Schweiz zurückkehren – das käme für Patt nicht infrage. «Klar vermisse ich meine Familie und Kollegen, und ab und zu wäre es schön, man könnte kurz für eine Woche Skifahren nach Hause nach Jenaz ins Prättigau, aber dann wäre es für mich auch schon wieder gut», sagt der Auswanderer schmunzelnd.

Wenn ihn das Heimweh überkommt, gäbe es ein Emmi-Fondue zum Znacht. «Ja, das gibt es hier tatsächlich und ist überraschenderweise gar nicht so teuer – eine Packung kostet zwischen zwölf und 13 Franken, glaube ich», so Patt. 

Generell biete Tamarindo kulinarisch viele Möglichkeiten. «Man findet hier alles, von chinesischer über indische bis hin zu polnischer Küche.» Das typische costa-ricanische Essen, das meist Reis, Bohnen und Kochbananen beinhaltet, finde Patt zwar eher langweilig, habe er aber dennoch gern gewonnen. 

Alle zwei Jahre versucht der Bündner einen Heimatbesuch zu planen. Dann kommen auch seine Frau, die ursprünglich aus Bolivien stammt, und die beiden Söhne (22, 25) mit. Dank der Edelweiss-Direktflüge vom unweit entfernten Flughafen Liberia nach Zürich sei die Heimkehr viel bequemer geworden. 

Durchbeissen und nicht aufgeben

Während seiner Zeit in Costa Rica erlebte Patt Höhen und Tiefen. Die Pandemie war eine der Herausforderungen, denen sich das Paar stellen musste. «Wir hatten monatelang keine Studenten, und vom Staat haben wir überhaupt keine Unterstützung bekommen», erinnert sich der Lehrer. 

Seither sei alles teurer geworden – der Sack Zwiebeln, aber auch die Mieten. Aktuell leben die Patts im oberen Stock eines der Schulgebäude. «Das ist natürlich praktisch, weil wir keinen langen Arbeitsweg haben, aber auch die Privatsphäre geht so verloren», wendet Shirley Patt ein. Viele Eigentümer würden ihre Wohnungen oder Häuser lieber als Airbnb vermieten, weil das mehr Geld bringe. 

Doch Aufgeben und Zurückkehren war für den Bündner nie eine Option. «Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass beim Auswandern nicht immer alles perfekt läuft, man mal in ein Loch fällt, es dann aber wieder gut kommt. Wichtig ist, dass man versucht, aus jedem Tag das Beste zu machen und sich durchbeisst», rät Patt. 

In der Anfangsphase befinde man sich in einer Art Wow-Phase. Dann sei noch alles «toll und genial». Sobald dieses Gefühl nachlasse – bei Patt sei das nach etwa zwei Jahren in Costa Rica der Fall gewesen –, dürfe man nicht einfach das Handtuch schmeissen, sondern müsse weiterkämpfen. 

«Es wird Dinge geben, die dir den Nerv rauben, das gehört dazu. Für mich bedeutet das Leben in Costa Rica zwar weniger Strukturiertheit und Verlässlichkeit, dafür birgt es aber mehr Freiheiten.» In seiner neuen Heimat sei alles weniger «eng und bünzlig». Auch hier sieht der passionierte Läufer die Vor- und Nachteile.

Ausserdem empfehle er potenziellen Auswanderern, sich ausgiebig mit den Gepflogenheiten und der Kultur des Landes auseinanderzusetzen. «Und wenn man die Sprache schon spricht, macht es das natürlich auch einfacher.» 

Klare Zukunftspläne

Die beiden Söhne nach einem Studium in den USA mittlerweile auch wieder zurück in Tamarindo. «Shirley und ich haben uns kennengelernt, als ich im Capitán Suizo gearbeitet habe. Sie lebte damals in New York und war hier in den Ferien», erinnert sich der Lehrer an seine Anfangszeit in Costa Rica. Sie habe während ihres Aufenthalts zwar im selben Hotel gewohnt, kennengelernt hätten sie sich aber im Örtchen in einer Bar.

«Da hat sie mich zum ersten Mal tanzen gesehen», lacht Reto Patt und wirft seiner Frau einen Blick zu. Die Gattin schmunzelt und entgegnet: «Sein Hüftschwung war aber definitiv nicht der Grund, warum ich mich in ihn verliebt habe.»

Darüber, wie ihr Leben im Pensionsalter mal ausschauen soll, haben sich die Patts bereits Gedanken gemacht. Der Bündner sehe sich nicht ganzjährlich zurück in der Schweiz, aber auch nicht ausschliesslich in Costa Rica. «Ich möchte diesen Abschnitt meines Lebens nicht an einem einzigen Ort verbringen.»

Wenn das Paar die Schule nicht führen würde, hätten es Tamarindo wohl schon länger verlassen. Denn das Klima hier in Tamarindo sei einfach zu «düppig». Ausserdem bevorzuge Patt Orte, die ruhiger und mehr in der Natur sind.

«Der perfekte Plan wäre: Ein paar Monate im Jahr in der Schweiz, ein paar Monate in Bolivien oder den Staaten und die restliche Zeit wo auch immer.» 

Reto Patts Blick schweift in die Ferne und bleibt auf dem Tukan in der Palme hängen. «Costa Rica ist ein wunderschönes Land, so grün und artenreich, wie die Schweiz relativ klein, sicher und politisch gesehen eher ruhig.» Der Bündner Lehrer sei dankbar dafür, dass er vor so vielen Jahren über diese Zeitungsanzeige gestolpert ist – die sein Leben für immer verändert hat.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer von Edelweiss organisierten Pressereise.


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