Betagte Menschen sind oft einsam. Umso mehr freut sich Geneviève Pantli, wenn Caterina Vogelgesang vorbeikommt. Sie ist eine der Freiwilligen beim Besuchs- und Begleitdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK).
In Kooperation mit SRK
26.04.2024, 11:32
Jan Klemm
Text: Thomas Kutschera
«Schön, sind Sie wieder hier! Da geht bei mir jedes Mal die Sonne auf», sagt Geneviève Pantli zur Begrüssung und schüttelt ihrem Gast lange die Hand. Wie jeden Montagnachmittag bekommt die 97-Jährige bei sich daheim Besuch von Caterina Vogelgesang. Die 58-Jährige ist Freiwillige beim Besuchs- und Begleitdienst des kantonalen Roten Kreuzes. Dieser ist für Menschen da, die sich einsam fühlen. Ältere Menschen, Männer wie Frauen, sind davon betroffen.
«Kommen Sie», bittet Geneviève Pantli die Besucherin. Mit dem Rollator tippelt die Witwe in die Küche. Ihre Sehkraft hat stark nachgelassen, alles geht bedächtig. Zusammen machen die zwei Frauen Kaffee, dann nehmen sie in der Stube Platz.
Die eloquente Gastgeberin fängt gleich an zu berichten: Vor zwei Tagen sei ihr beim täglichen Spaziergang im Quartier ein junger Mann aus der Nachbarschaft begegnet. «Wir hatten einen lustigen Schwatz. Dabei erkundigte er sich nach meinem Alter. Als ich ihm dieses verriet, ging er vor lauter Staunen auf die Knie.» Geneviève Pantli und Caterina Vogelgesang lachen, es entspinnt sich eine kurzweilige Plauderei über Gott und die Welt.
Die Gastgeberin ist in Paris geboren und aufgewachsen, seit 70 Jahren lebt sie in der Schweiz. Gern erzählt sie ihrem Gast aus ihrer Jugend und von den Tagebüchern, die ihr Vater während der zwei Weltkriege schrieb. «Sie sind ein wandelndes Geschichtsbuch – eine kluge Frau mit viel Humor», sagt die SRK-Freiwillige, «ich lerne viel von Ihnen.» Im Hintergrund läuft Radio Swiss Classic. «Den ganzen Tag», wie die Seniorin betont.
Bücher sind ihr wichtig
Geneviève Pantli hat ein geregeltes Leben: Nach dem Frühstück legt sie sich wieder eine Weile hin, nachmittags macht sie eine Runde durchs Quartier. «Am liebsten sind mir die Abende.» Nach den 18-Uhr-Nachrichten macht sich die Seniorin Znacht, um 20 Uhr schaltet sie den Fernseher ein, für «La grande librairie», eine Literatursendung auf France 5. Sie seufzt: «Wenn ich nur noch besser sehen würde! Früher habe ich viel gelesen, das fehlt mir sehr. Lesen Sie mir doch bitte etwas vor!»
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spenden.redcross.chDer Besuchs- und Begleitdienst SRK richtet sich an ältere Menschen. Er wird von verschiedenen Kantonalverbänden angeboten. Bei diesem Dienst besuchen Freiwillige ältere Menschen zu Hause. Sie können dann zum Beispiel gemeinsam spazieren gehen oder bei einer Tasse Tee zusammensitzen.
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Die SRK-Freiwillige steht auf. Sie weiss, wo in der Bücherwand eines der Lieblingsbücher der Gastgeberin steht: «Les feuilles d’ automne» von Victor Hugo. Caterina Vogelgesang liest das Gedicht «La prière pour tous» vor – die Stellen, die ihr besonders gut gefallen, hat Geneviève Pantli früher mal markiert. «Wie schön! Das tut meiner Seele so gut», sagt die Seniorin. Die Zeit vergeht. Die Gastgeberin wirft einen Blick auf die Wanduhr: «Zeit für unseren Spaziergang!» Dieser und der Besuch eines Cafés gehören fest zum montäglichen Programm. Caterina Vogelgesang hilft der Gastgeberin in den Mantel. Auch auf dem Spaziergang entspinnt sich ein munteres Gespräch. Die beiden verbindet ein vertrauensvolles Verhältnis, sie telefonieren regelmässig miteinander, um sich zu erkundigen, wie es dem anderen geht.
«Ihre Besuche sind eine Wohltat», sagt Geneviève Pantli beim Abschied. «Die Gesellschaft mit Ihnen macht mich jedes Mal glücklich. Davon zehre ich die folgenden Tage.» Caterina Vogelgesang nickt. «Auch mir bedeutet unsere Bekanntschaft viel. Ich freue mich schon auf den nächsten Montag.» Die Seniorin lacht. «Kommen Sie ja nicht zu spät!»
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