Bötschi fragtMario Muntwyler, Jongleur: «Früher war alles ein Spiel, heute ist es mein Job»
Von Bruno Bötschi
29.10.2023
Mario Muntwyler, Jongleur: «So kannst du im Alltag ganz einfach entspannen»
Neuerdings steht nicht mehr Johannes Muntwyler im Rampenlicht beim Circus Monti, sondern dessen Sohn Mario. Im Video verrät er seinen ultimativen Entspannungstipp.
26.10.2023
Neuerdings steht nicht mehr Johannes Muntwyler im Rampenlicht beim Circus Monti, sondern dessen Sohn Mario. Ein Gespräch mit dem Jongleur über seinen allerersten Aufritt in der Manege und das Leben auf Achse.
Von Bruno Bötschi
29.10.2023, 17:03
07.11.2023, 09:47
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Mario Muntwyler tritt als Jongleur beim Circus Monti auf. Neu steht der 28-Jährige im Rampenlicht – und nicht mehr sein Vater Johannes Muntwyler.
«Mein Vater ist aber nach wie vor das Gesicht vom ‹Monti›. Und das ist gut so», sagt Mario Muntwyler im Gespräch mit blue News.
Im «Bötschi fragt»-Interview verrät der Jongleur zudem, wie viel er trainiert und was das Erfolgsrezept des Monti ist.
Mario Muntwyler, ich stelle dir in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen. Und du antwortest möglichst kurz und schnell. Wenn dir eine Frage nicht passt, sagst du einfach «weiter».
Alles klar.
Wie lässt du dich am Morgen wecken?
Mit einem schrecklichen Klingelton von meinem iPhone.
Seit Anfang August bist du mit dem Circus Monti auf Tournee: Wie gross ist dein Wohnwagen?
Mein Camper ist zwei auf sechs Meter gross.
Welches sind die drei Dinge, die in deinem Wohnwagen unbedingt vorhanden sein müssen?
Das Ladekabel für mein Handy, meine Regenjacke und eine Flasche Bier im Kühlschrank.
Gibt es beim Leben auf Achse auch die Sehnsucht nach einem fixen Daheim?
Ich habe auch eine Wohnung und geniesse das Leben dort sehr, wenn wir mit dem Monti nicht auf Tournee sind.
Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: blue News
blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.
Das Leben im Zirkus in wenigen Worten zusammengefasst ...
Abwechslungsreich, freundschaftlich und familiär.
Blöde Frage: Wieso heisst euer Circus Monti und nicht Muntwyler?
Meine Grosseltern haben 1985 den Circus Monti gegründet. Der Spitzname meines Grossvaters, Guido Muntwyler, war Monti. Wieso er Monti und nicht Munti genannt wurde, weiss ich ehrlich gesagt auch nicht.
Als Kind hat man viele Träume – erinnerst du dich?
Ich träumte davon, Fussballprofi zu werden. Ich besuchte beim FC Wohlen auch hin und wieder das Training. Während wir auf Tournee waren, fehlte ich oft. Das fand ich nicht lustig. Deshalb gab ich den Traum ziemlich schnell wieder auf.
Als ich vor elf Jahren deinem Vater Johannes diese Frage stellte, antwortete er: «Ich wollte Buschauffeur auf der Strecke Frutigen–Adelboden werden.»
Das hat er mir auch schon erzählt.
Ist Adelboden nach wie vor ein Thema in eurer Familie?
Ja. Wir gehen jedes Jahr dort in die Skiferien – zumindest, solange es noch Schnee hat.
Während meiner Recherchen für dieses Interviews fand ich kaum Informationen über dein Monti-Debüt. Stimmt es, dass du 2003 deinen ersten Auftritt in der Manege hattest?
Das stimmt. Ich war damals sechs Jahre alt und trat gemeinsam mit Vater Johannes und Bruder Tobias mit einer Diabolo-Darbietung auf. Mein Debüt in der Manege war dem Zufall geschuldet.
Wie kam es dazu?
Während mein Vater und mein Bruder in der Manege die Diabolos jonglierten, mussten ihnen von aussen immer wieder neue Spielgeräte zugeworfen werden. Normalerweise wird dafür ein anderer Artist engagiert. Irgendwann fand Ueli Bichsel – der Clown und Theatermann war damals für das Monti-Programm zuständig –, ich solle diese Aufgabe übernehmen, da ich eh bei jeder Probe zusah.
Welche Erinnerungen hast du an deinen allerersten Auftritt in der Manege?
An meinen allerersten Auftritt habe ich keine Erinnerungen mehr. Was ich weiss: Je länger die Saison dauerte, desto mutiger wurde ich. Irgendwann warf ich nicht nur die Diabolos meinem Vater und meinem Bruder zu, sondern zog im hinteren Teil der Manege meine eigene kleine Show ab.
Das klingt nach Spass.
Die erste Saison in der Manege hat mir extrem viel Spass gemacht. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich als Kind keinen Druck verspürte. Alles fühlte sich wie ein Spiel an. Heute mache ich mir vor einem Auftritt viel mehr Gedanken.
Ja und nein. Mit dem Älterwerden wuchs der Druck – also vor allem der Druck, den ich mir selber mache. Früher war alles ein Spiel, heute ist es mein Job. Der stetig wachsende Druck ist übrigens mit einer der Gründe, warum mein Vater seit vier Jahren nicht mehr als Jongleur in der Manege auftritt. Irgendwann stresste ihn die Nervosität zu stark.
Hast du manchmal Angst vor deinem Job?
Nein. Sonst würde ich nicht mehr als Jongleur auftreten.
Möchtest du als Artist dein Publikum ähnlich faszinieren wie ein grosser Dirigent?
Als Jongleur muss ich nur ein paar Keulen im Griff haben, ein Dirigent leitet dagegen ein ganzes Orchester. Beides hat seinen Reiz, aber den Job als Dirigent stelle ich mir deutlich komplizierter vor.
Findest du, euer Zirkus bekommt genug Anerkennung?
Wir sind dankbar und glücklich über die Anerkennung und den Zuspruch durch unser Publikum. Mit Freude und Stolz hat uns zudem erfüllt, dass das Bundesamt für Kultur (BAK) uns in diesem Jahr einen «Schweizer Preis Darstellende Künste» verliehen hat. Es ist ein schönes Zeichen der Wertschätzung.
Wie wichtig ist dir Applaus?
Der Applaus ist der direkte Lohn, den ich als Artist in der Manege vom Publikum bekomme. Ich geniesse ihn, allerdings immer mit dem Wissen: Ich will nicht süchtig danach werden. Der Applaus ist zudem ein Lohn, der nicht fair verteilt ist. Damit eine Vorstellung im Circus Monti reibungslos funktioniert, braucht es auch ganz viele Menschen, die im Hintergrund tätig sind.
Hast du in der Manege je einen Albtraum erlebt?
Nein. Meine Horrorvorstellung ist, dass der erste Trick meiner Jongleur-Nummer in die Hose geht.
Passiert das oft?
Zum Glück nicht.
Einer deiner Tricks missrät während einer Vorstellung: Was tust du?
Unter uns Jongleuren gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Passiert ein Fehler während einer Nummer, versucht man sich danach maximal noch zweimal daran.
Was steht bei dir auf offiziellen Dokumenten unter «Beruf»?
Kaufmann und Zirkusartist.
Wann war für dich klar, dass du als Jongleur in die Fussstapfen deines Vaters treten möchtest?
Ich war drei Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit Bällen jonglierte. Nach meinem Debüt in der Manege mit der Diabolo-Darbietung wechselte ich kurzzeitig zur Akrobatik, bevor ich in meiner vierten Monti-Saison, also im Alter von zehn Jahren, meinen ersten Auftritt als Jongleur hatte.
Mit wie vielen Bällen schaffst du es sofort nach dem Aufstehen – also ohne Kaffee oder eine kalte Dusche– zu jonglieren?
Mit sieben Bällen.
Ich schaffe es nicht einmal im ausgeschlafenen Zustand mit drei Bällen zu jonglieren. Was mache ich falsch?
Du trainierst zu wenig (lacht). Jonglieren hat viel mit Geduld zu tun. Und je älter du wirst, umso schwieriger wird das Erlernen.
Mit vielen Bällen oder Keulen hast du es bisher maximal geschafft zu Jonglieren?
In der Manege jongliere ich jeweils mit maximal sieben Bällen, Keulen oder Ringen. Im Training habe ich auch schon mit neun Bällen respektive Ringen gearbeitet.
An welcher Jongleur-Nummer bist du gescheitert?
Ich träume davon, mit Keulen zu jonglieren, die mir von einer Maschine zugeworfen werden. Du musst dir das so vorstellen wie eine Ballmaschine, die dem Tennisspieler während des Trainings die Bälle zuwirft. Bisher konnte ich diese Idee aber noch nicht in der Manege umsetzen.
Wie oft trainierst du am Tag?
Während der Vorbereitung auf eine neue Saison jongliere ich täglich anderthalb bis zwei Stunden. Während der Tournee selber beschränkt sich das Training meist auf das 20-minütige Aufwärmen vor meinem Auftritt.
In einer halben Stunde geht die Abendvorstellung los. Was machst du?
Da bin ich bereits geschminkt, aber noch total entspannt.
Es geht noch fünf Minuten bis zur Vorstellung. Was machst du?
Das ist der Moment, in dem ich allen anderen Artisten sage, dass es noch fünf Minuten dauert, bis die Vorstellung beginnt. Danach stehen wir alle zusammen in einem Kreis, um uns gemeinsam einzuschwören.
Bist du abergläubisch?
Nein.
In kaum einer Branche ist Aberglaube so verbreitet wie im Theater. Gibt es auch im Zirkus solche ungeschriebenen Gesetze?
Eine gute Frage. Am Freitag, 13. Oktober, gaben wir zwei Vorstellungen. So weit her kann es demnach nicht sein mit dem Aberglauben bei uns im Monti (lacht).
Wer entscheidet, wann und wo der Circus Monti sein Zelt aufschlägt? Buchen euch Gemeinden, oder müsst ihr euch selber um die Plätze kümmern?
Wir gehen proaktiv auf die Städte zu – und das lange im Voraus.
Was macht die Faszination vom Circus Monti aus?
Das Publikum soll sich in der familiären Atmosphäre des Monti willkommen fühlen und spüren, dass wir Freude an unserer Arbeit haben. Schön ist es, wenn die Menschen während einer Vorstellung lachen und staunen können und ab und an auch etwas emotional werden.
Am 12. März 1985 ging der Circus Monti zum ersten Mal auf Tournee. In den Anfängen prophezeite die Szene eurer Familie ein rasches Ende.
In den Anfangszeiten des Monti war ich noch nicht auf der Welt. Ich kenne diese Geschichte also nur vom Hörensagen. Meine Familie versuchte von Anfang an, etwas sehr Eigenständiges aufzubauen. Dieser Mut hat sich ausbezahlt. Es ist die Poesie des Circus Monti, die das Herz berührt. Entscheidend für unseren Erfolg war zudem das Engagement von Clown Dimitri im Jahr 1998. Mit seinem Programm «Der ZirKuss» gewannen wir unter anderem als erster Zirkus überhaupt den Prix Walo.
Vieles hat sich im Monti in den letzten 38 Jahren verändert. Heute treten zum Beispiel keine Tiere mehr in der Manege auf.
Wir sind ein traditionsbehaftetes Unternehmen. Trotzdem ist uns die Innovation wichtig. Wir haben ein Kreativteam, das jedes Jahr wechselt. Dieses besteht aus zwei Regisseuren oder Choreografen, aus jemandem, der die Musik schreibt. Auch die Kostüme werden jedes Jahr neu kreiert.
Welches waren die grössten Veränderungen hinter den Kulissen?
Der Monti ist heute nicht mehr nur ein Zirkus. In unserem Winterquartier in Wohlen AG organisieren wir seit Jahren ab Mitte November «Monti’s Variété». Im Frühling finden gleichenorts «Monti’s Kulturtage» statt. Ein zusätzliches Standbein ist die Zeltvermietung.
Womit ist der Begriff Heimat für dich verbunden – mit einem Geruch, einem Geschmack oder einem Bild?
Riecht es nach Popcorn und Crêpes, dann weiss ich: Die nächste Tournee steht vor der Tür.
Was schätzen deine Freundinnen und Freunde an dir?
Ich würde sagen, ich bin ein offener, spontaner und hilfsbereiter Mensch.
Dein Vater Johannes ist nach wie vor der Direktor des Monti. Er hat jedoch angekündigt, mehr und mehr ins zweite Glied zurücktreten zu wollen.
Das stimmt. Mein Vater möchte etwas weniger im Rampenlicht stehen. Er ist aber nach wie vor das Gesicht des Monti. Und das ist gut so.
Ihr seid drei Brüder: Nicola, Tobias und du. Wisst ihr schon, wer künftig das Gesicht des Circus Monti wird?
Aktuell sieht die Aufteilung so aus: Tobias ist für die Zeltvermietung zuständig. Nicola leitet den Bereich Werkstatt. Ich bin für einen Grossteil der Administration verantwortlich und trete als Jongleur auf. Diese Aufteilung entspricht unseren Fähigkeiten und Interessen. Das heisst aber auch, aktuell bin ich der einzige Muntwyler der dritten Generation, der das Publikum zu Gesicht bekommt. Ich denke, irgendwann müssen wir das noch genauer diskutieren, wie wir das in Zukunft handhaben wollen. Aber aktuell stimmt das für uns alle.
Wie sieht der Circus Monti in 20 Jahren aus?
Ich hoffe, nein, ich bin der festen Überzeugung, dass wir dann nach wie vor auf Tournee gehen werden. Wir möchten auch nur noch qualitativ wachsen.
Dein Vater träumte vor elf Jahren davon, dass ihr mit dem Monti auf dem Wiener Rathausplatz gastieren dürft. Wann wird dieser Traum Wirklichkeit werden?
Wir überlegen uns immer wieder, ob wir einmal im Ausland auftreten sollen. Eine Idee, die immer wieder in unseren Köpfen herumgeistert, ist ein Engagement in Montreal, Kanada. Wir kennen dort viele Artisten und Zirkusschaffende.
Monti in Montreal: Das klingt gut.
Stimmt – aber wie gesagt: Es ist bisher nur ein Traum. Aktuell haben wir zu viele andere Projekte am Laufen, als dass wir demnächst unser Zirkuszelt in Montreal aufbauen würden. Trotzdem finde ich es wichtig, immer zu träumen und Ziele zu haben, auch wenn die etwas verrückt zu sein scheinen.
Wie geht ein Jongleur in Pension?
Oh, so weit bin ich aber noch lange nicht (lacht). Möglicherweise werde ich es ähnlich machen wie mein Vater. Er hat die Manege stillschweigend verlassen. Also ohne anzukündigen, dass dies jetzt seine letzte Saison als Jongleur sein wird.
Der Circus Monti gastiert noch bis am 29. Oktober in Solothurn. Vom 1. bis 26. November steht sein Zelt auf dem Kasernenareal in Zürich. Weitere Tournee-Daten findest du unter diesem Link.
Mehr «Bötschi fragt»-Gespräche findest du unter diesem Link.
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