Sie ist nicht die Erste Winterthurer Reinigungskraft putzt Kunstwerk weg

Von Lia Pescatore

11.6.2022

Kunst oder kann es weg? Dass ein Kunstwerk für Abfall gehalten wird, ist kein Einzelfall.
Kunst oder kann es weg? Dass ein Kunstwerk für Abfall gehalten wird, ist kein Einzelfall.
EPA/UWE ANSPACH

Weil sie die scherenschnittartigen Figuren wohl für Werke der Kinder hielt, hat eine Reinigungskraft in einer Winterthurer Schule ein 30'000-Franken-Kunstwerk entfernt. Es ist nicht das erste Werk, das dem Arbeitseifer zum Opfer fiel.

Von Lia Pescatore

Den alljährlichen Schulhausputz nahm eine Reinigungskraft zu gründlich vor: Diese putzte im Corona-Sommer 2020 neben Böden und Bänken ein Kunstwerk von der Wand, wie der «Tages-Anzeiger» jetzt berichtet. Das zerstörte Werk, das sich in der Berufsschule Winterthur über vier Stockwerke erstreckte, stammte von der Künstlerin Katharina Henking und bestand aus mehreren schwarzen Figuren, die in ihrer Form an Scherenschnitte erinnerten.  

Die Figuren haben es überlebt: Die Frau habe die Figuren abgekratzt und dann behutsam in eine Schachtel versorgt, erzählt der Rektor Roland Harders dem «Tages-Anzeiger». Es handle sich darum klar um ein Missverständnis, keinen Vandalenakt. 

Für das Kunstwerk wurde ein Ersatz von derselben Künstlerin bestellt. Kostenpunkt: 30'000 Franken, denn das zerstörte Werk war nicht versichert. Nun zieren erneut schwarze Figuren aus Papier die Wände der Berufsschule. Der grosse Unterschied: Die vier Teile des Werkes sind mit Rahmen umgeben. 

Mit der gutgläubigen Zerstörung eines Kunstwerkes reiht sich die Reinigungskraft in eine langjährige Tradition ein. Doch auch vor Museumsbesucher*innen und Hobby-Restaurator*innen sind die Kunstwerke nicht gefeit, wie die folgende nicht abschliessende Übersicht zeigt:

Installation für Müll gehalten

Die Künstlerin Romana Menz-Kuh integrierte die Beschädigung ihrer Installation gleich in ihr Werk. EPA/UWE ANSPACH
Die Künstlerin Romana Menz-Kuh integrierte die Beschädigung ihrer Installation gleich in ihr Werk. EPA/UWE ANSPACH
KEYSTONE

Gleich für Müll gehalten wurde das Kunstwerk der Künstlerin Romana Menze-Kuhn in der Mannheimer Philippuskirche. Eine Reinigungskraft riss Teile der Installation aus Rettungsfolien, mit dem Titel «Behausung 6/2016», einfach ab.

«Ich war natürlich entrüstet und sprachlos», sagte damals die Künstlerin Menze-Kuhn über den Vorfall. Ihr sei schnell klar gewesen, dass sich die Installation nicht reparieren liess. Daher habe sie die vom Boden abgerissenen Folien in eine Mülltonne gesteckt und in ihr Werk integriert. Thema der Installation war die Suche von Menschen in Not nach einer Unterkunft.

Stadt Frankfurt verbrennt Kunstwerk

Eine Besucherin betrachtet im Juni 2011 im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main die Installation «outdoor - yellow 13». Eine ähnliche Installation wurde im Jahr 2005 in derselben Stadt zerstört. 
Eine Besucherin betrachtet im Juni 2011 im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main die Installation «outdoor - yellow 13». Eine ähnliche Installation wurde im Jahr 2005 in derselben Stadt zerstört. 
KEYSTONE

Versehentlich verbrannt wurde hingegen ein Kunstwerk von Michael Beutler im Jahr 2005. Der Leiter der Stabsstelle «Sauberes Frankfurt» hielt die Installation für wild abgestellten Sperrmüll und hatte darum den Abtransport veranlasst. 

Der Künstler Michael Beutler zeigte sich erfreut über die Offenheit des Leiters und sah von einer Schadenersatzforderung ab.

Rentnerin füllt Kreuzworträtsel aus

Fast zu einem Gerichtsprozess kam es hingegen in Nürnberg, nachdem eine 91 Jahre alte Frau ein im dortigen Neuen Museum ausgestelltes Kreuzworträtsel-Kunstwerk ausgefüllt hatte. Sie hat in dem mit 80'000 Euro versicherten Werk des Künstlers Arthur Köpcke mit einem Kugelschreiber mehrere Buchstaben ergänzt.

Die Seniorin erklärte der Museumsdirektorin ihr Verhalten mit der Aufforderung «Insert words» auf dem collagenhaften Werk. Dies habe sie veranlasst, einige Buchstaben zu ergänzen, gab die mit einer Rentnergruppe in das Museum gekommene Frau an. «Wenn der das da reinschreibt, mache ich das.»

Mit Erstaunen nahm das Museum das Verhalten der anderen Senioren der Gruppe zur Kenntnis. Während jede Schülergruppe wisse, dass Kunstwerke nicht beschriftet werden dürften, hätten die Senioren sich sehr mit der 91-Jährigen solidarisiert und ihr Unverständnis geäussert. Sie hätten das Museum aufgefordert, doch gefälligst Schilder aufzustellen, dass die Kunstwerke nicht beschriftet werden dürften.

Der Vorfall rief sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die aber letztlich das Verfahren wegen «gemeinschädlicher Sachbeschädigung» gegen die alte Dame einstellte. Auch für das Kunstwerk hatte die Aktion der Frau keinerlei Folgen: Das Bild «Reading-work-piece» konnte mit Lösungsmitteln gereinigt werden.

Amateur-Restaurateurin zerstört Jesus-Fresko

Das originale Jesus-Fresko neben der «restaurierten» Version. 
Das originale Jesus-Fresko neben der «restaurierten» Version. 
Keystone/AP Photo/Centro de Estudios

Für weltweites Aufsehen und viele Memes sorgte 2012 der Versuch einer 80-jährigen Amateur-Restauratorin, das Jesus-Fresko in einer spanischen Kapelle zu restaurieren. Anders als beim Nürnberger Fall konnte das Werk nicht mehr gerettet werden: Der Versuch endete mit der Zerstörung des Abbilds Christi. Belustigte Medien tauften seinerzeit das Bild von «Ecce homo» (wie die Darstellung des dornengekrönten Christus in der Kunst heisst) auf «Ecce mono» (so etwas wie «Affen-Jesus») um.

Immerhin: Die Amateur-Restauratorin Cecilia Giménez konnte die Aufmerksamkeit für einen guten Zweck nutzen. In einem Jahr reisten 40'000 Besucher*innen nach Borja, um das Werk zu bestaunen und brachten 50'000 Euro zusammen für eine lokale Hilfsorganisation. 

Hausabwart putzt Fettecke weg

Die Überreste von Beuys' Kunstwerk «Fettecke», das aus fünf Kilogramm Butter in einer Ecke seinem Atelier bestand, wurden von drei Künstlern zu Schnaps verarbeitet und ausgestellt.  
Die Überreste von Beuys' Kunstwerk «Fettecke», das aus fünf Kilogramm Butter in einer Ecke seinem Atelier bestand, wurden von drei Künstlern zu Schnaps verarbeitet und ausgestellt.  
Keystone/ EPA/Matthias Balk

Gleich mehrere Kunstwerke des Künstlers Joseph Beuys wurden zerstört. 1973 reinigten bei einer Feier des SPD-Ortvereins Leverkusen-Alkenrath zwei Frauen eine Badewanne, die Beuys mit Mullbinden und Heftpflastern ausgestattet hatte – um ihre Gläser darin zu spülen. Nach Beuys' Tod 1986 wurden zudem die fünf Kilogramm Butter, die er in seinem Atelier auf drei Meter Höhe in eine Ecke gestrichen hatte, vom Hausmeister weggewischt. Das Kunstwerk mit dem Titel «Fettecke» wurde nach seiner Zerstörung zum bekanntesten Werk von Beuys. 

Erstellt mit Material der Agentur Keystone-SDA