Mutmassliche Kriegsverbrechen Droht Benjamin Netanjahu jetzt wirklich ein Haftbefehl?

Andreas Fischer

1.5.2024

Benjamin Netanjahu sorgt sich, dass er wie Wladimir Putin bald vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird.
Benjamin Netanjahu sorgt sich, dass er wie Wladimir Putin bald vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird.
KEYSTONE/AP Photo/Ohad Zwigenberg

Der Internationale Strafgerichtshof könnte Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu und andere Regierungsmitglieder verhängen. In Israel ist man besorgt: Droht dem Ministerpräsidenten die Festnahme?

Andreas Fischer

1.5.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu droht möglicherweise ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).
  • In Israel ist man besorgt, dass daraufhin eine neue Welle antisemitischer Hassverbrechen losgetreten werden könnte.
  • Netanjahu baut im Vorfeld Druck auf und betont, dass ein allfälliger Haftbefehl den Krieg Israels gegen die Hamas nicht beeinflussen würde.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu befürchtet, der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag könnte Haftbefehle gegen ihn und andere Israelis erlassen. Die Regierung gehe davon aus, dass Chefankläger Karim Khan noch in dieser Woche internationale Haftbefehle für Netanjahu, Verteidigungsminister Joav Galant sowie den Generalstabschef Herzi Halevi ausstellen könnte.

Die Aufregung ist gross. Seit Tagen, so berichten israelische Medien, ist man in israelischen Sicherheitskreisen extrem besorgt. Einerseits, weil der Imageschaden verheerend wäre - und das in einer Zeit, in der Israel durch das harte Vorgehen gehen die Hamas-Terroristen im Gaza-Streifen ohnehin an Ansehen verliert. Andererseits, weil dann eine «schlimme antisemitische, antijüdische und antiisraelische Welle auf der Welt» drohe, wie Aussenminister Israel Katz die israelischen Botschafter am Wochenende warnte.

Netanjahu selbst hat mögliche Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag gegen ihn und andere Israelis im Vorfeld scharf kritisiert. Sollte der Gerichtshof die Haftbefehle erlassen, sei dies ein «beispielloses antisemitisches Hassverbrechen», sagte Netanjahu in einer Videoansprache am Dienstag. Ein solcher Schritt würde Israels Recht auf Selbstverteidigung nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober vergangenen Jahres verletzen.

Netanjahu wütend, USA winken ab

Netanjahu sprach von einer «Verzerrung der Gerechtigkeit und der Geschichte». Auf Israels Einsatz im Gazastreifen sollen die möglichen Haftbefehle demnach keinen Einfluss haben: «Keine Entscheidung, weder in Den Haag noch anderswo, wird unsere Entschlossenheit, alle Kriegsziele zu erreichen, in irgendeiner Weise schmälern», betonte Israels Regierungschef.

Wie realistisch ein Haftbefehl gegen Netanjahu wirklich ist, ist derzeit schwer abzuschätzen. Chefankläger Karim Khan hat bereits vier internationale Haftbefehle gegen hochrangige Russen erlassen wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen, darunter gegen Präsident Wladimir Putin. Auch gegen den sudanischen Ex-Diktator Omar al-Baschir liegt ein Haftbefehl des IStGH vor.

Die USA haben sich ausweichend zu den Konsequenzen möglicher Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und andere Israelis geäussert. Man unterstütze die Ermittlungen nicht und sei ausserdem überzeugt, dass der - von den USA ohnehin nicht anerkannte - Strafgerichtshof in Den Haag keine rechtliche Zuständigkeit habe.

Strafgerichtshof ermittelt schon seit drei Jahren in Gaza

Juristisch würde ein Haftbefehl des IStGH gegen Netanjahu und andere israelische Bürger bedeuten, dass Staaten, die die Statuten des IStGH unterzeichnet haben, verpflichtet wären, diese Personen festzunehmen und an den Gerichtshof zu überstellen – sofern diese sich auf das Hoheitsgebiet dieser Staaten begeben. Auch die Schweiz müsste sich daran halten, sollte Netanjahu zu einem Staatsbesuch kommen.

Zwar erkennt Israel den Internationalen Strafgerichtshof nicht an. Aber die palästinensischen Gebiete sind Vertragsstaat. Daher darf der der IStGH dort auch ermitteln. Seit 2021 läuft bereits eine Untersuchung gegen die Islamistenorganisation Hamas und Israel wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen, ebenso zu Gewalttaten israelischer Siedler im Westjordanland.

Angehörige von Geiseln der islamistischen Hamas hatten den Strafgerichtshof im Februar dazu aufgerufen, gegen die Führer der Terrororganisation zu ermitteln und Haftbefehle zu erlassen. Sie forderten strafrechtliche Ermittlungen wegen Geiselnahme, sexueller Gewaltverbrechen, Folter und Mord.

Bericht: Israel plant schrittweise Offensive in Rafah

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26.04.2024