Lagebild UkraineKiew setzt Nadelstiche, die Putins Generäle bluten lassen
Von Philipp Dahm
18.4.2024
Baerbock betont Rolle der USA bei weiterer Unterstützung der Ukraine
Aussenministerin Annalena Baerbock setzt auf eine rasche Zustimmung der USA zur Unterstützung der Ukraine mit Luftabwehr und finanzieller Hilfe im Krieg gegen Russland. Das sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag am Rande des Treffens der Gruppe sieben grosser Industrienationen auf der italienischen Mittelmeerinsel Capri.
18.04.2024
Personal-, Material- und Munitionsmangel bremsen die ukrainische Armee an der Front derzeit aus. Doch dank Drohnen und Raketen gelingt es Kiew dennoch, dem Kreml empfindliche Nackenschläge zu verpassen.
Von Philipp Dahm
18.04.2024, 19:45
18.04.2024, 21:06
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Während es an der Front wenig für Kiew zu feiern gibt, versetzt die Ukraine Moskaus Militär empfindliche Nackenschläge sowohl im russischen Kernland als auch auf der Krim.
Ukrainische Drohnen haben am 17. April das Kasaner Flugzeugwerk in Tatarstan attackiert, wo Bomber gebaut werden.
Am 16. April haben sieben ukrainische Drohnen eine 100 Millionen Dollar teure Radaranlage in der Grenzregion Brjansk zerstört.
Am 17. April gab es ausserdem einen Angriff auf den Militärflugplatz in Dschankoj auf der Krim: Mindestens drei S-400-Startrampen und ein Radar wurden angeblich getroffen.
Deutschland, die Niederlande und die Nato machen Druck auf Nato-Partner, Kiew mehr Luftabwehrsysteme zu liefern.
Der Krieg verläuft dieser Tage für die ukrainischen Streitkräfte nur mässig erfolgreich: Fast überall an der Front ist die Armee im Hintertreffen. Der Munitionsmangel hält an: Die tschechische Initiative soll zwar mittlerweile 500'000 Schuss gekauft haben, doch vor Juni trifft diese angeblich nicht auf dem Schlachtfeld ein.
‼️ GUR attacked a factory in Tatarstan, where Tu-22M and Tu-160M aircraft are produced, - RBK Ukraine pic.twitter.com/UhLNIsmUMt
Und dennoch kann Kiew Nadelstiche setzen, die Moskau mitunter ziemlich wehtun. Beim Angriff auf ein Ziel in Tatarstan hat der ukrainische Militärgeheimdienst GUR alias HUR am weitesten ausgeholt: Rund 1000 Kilometer haben Drohnen zurückgelegt, um das Kasaner Flugzeugwerk zu treffen, wo Tu-22M- und Tu-160M-Bomber gebaut und gewartet werden.
The Ukrainian SBU 🇺🇦 destroyed a Russian Nebo-U radar in the Bryansk Region of Russia with kamikaze drones, according to SBU sources (RBC Ukraine)
The $100 million long-range radar allowed Russia to track flying missiles and planes 700km into Ukraine pic.twitter.com/a0n6h2ug2n
Einen Tag vorher feiert der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) einen Achtungserfolg: Am 16. April zerstören sieben Drohnen in der russischen Grenzregion Brjansk ein wertvolles Radarsystem vom Typ Nebo-U. Wertvoll ist es zum einen, weil es rund 100 Millionen Dollar teuer sein soll. Wertvoll ist es auch, weil es angeblich 700 Kilometer tief in den ukrainischen Luftraum spähen kann.
Schlag gegen Dschankoj: Legt Kiew sich die Krim zurecht?
Ein besonderer Schlag ins Kontor ist jedoch die Attacke auf die Militärbasis in Dschankoj auf der russisch besetzten Krim. Der Angriff am frühen Morgen des 17. April erfolgt in zwei Wellen aus dem Oblast Cherson aus, schreibt der prorussische Telegram-Kanal Rybar.
Zunächst fliegen fünf Raketen den dortigen Flugplatz an, dann folgen nochmal sieben. Geleitet wird der Angriff von einer US-Drohne vom Typ RQ-4B Global Hawk, die den Einsatz «ungehindert im Luftraum südlich der Krim überwacht», behauptet Rybar.
Einer anderen Quelle zufolge sind bloss zwei Raketen im Einsatz. Wie auch immer: Der Angriff ist offenbar verheerend, wie Videos aus der Region nahelegen. Die Attacke zerstört angeblich drei S-400-Startrampen, eine Radar- und eine Wartungsanlage. Wie viele der dort stationierten Kampfhelikopter in Mitleidenschaft gezogen wurden, ist unklar.
Huge explosions can be seen in Russian-occupied Dzhankoy, Crimea. It is reported that the local airfield is compromised.
«Es gibt Geheimdienstberichte über einen brennenden Helikopter und einen erfolgreichen Angriff auf eine RLS-Radaranlage», sagt GUR-Sprecher Andrij Jusow zu dem Einsatz. Auf die Frage, ob die Attacken auf die Luftfahrt auf der Krim und in Russland koordiniert seien, antwortet er, das sei nur logisch. «Das ist Teil einer grossen Idee. Es wird sicher fortgesetzt.»
The Main Directorate of Intelligence of Ukraine claims that yesterday's attack on the airfield in Dzhankoy destroyed or critically damaged:
Der Angriff auf Dschankoj passt zu einer ganzen Reihe von Attacken auf Radaranlagen und Flugabwehrsysteme auf der Krim. Kommentatoren in Russland vermuten dahinter Vorbereitungen für einen ukrainischen Schlag gegen die Kertsch-Brücke, den Kiew für die nahe Zukunft angekündigt hat.
Rutte will für Kiew einkaufen
Doch während es Kiew gelingt, Wladimir Putins Militär aus Luft Nackenschläge zu verpassen, hapert es bei der eigenen Luftabwehr immer deutlicher, wie die russischen Angriffe auf Wohngebiete in Odessa, Charkiw oder ganz aktuell in Tschernihiw zeigen, wo mindestens 17 Menschen getötet wurden.
Ukraine – Zahlreiche Tote bei russischem Angriff auf Tschernihiw
Ukraine – Zahlreiche Tote bei russischem Angriff auf Tschernihiw
17.04.2024
Deutschland versucht, das zu ändern: Berlin hat in dieser Sparte beim Ramstein-Format die Führungsrolle übernommen – und lässt Taten sprechen. Nachdem Kiew gerade eine zusätzliche Patriot-Batterie versprochen worden ist, soll laut «Bild» «in wenigen Wochen» ein weiteres IRIS-T-System folgen. Bis Jahresende würden weitere geliefert.
The Ukrainian intelligence (GUR) released a video of a Russian military Mi-8 helicopter burning in Samara, Russia. The intelligence says that the chopper got destroyed at the Kryash airfield last night.
Auch der niederländische Premier Mark Rutte versucht, Druck auf Nato-Partner zu machen, die «auf einem grossen Haufen von Patriot» sitzen würden, aber nicht direkt an die Ukraine liefern wollten. «Wir können diese von ihnen kaufen», zitiert ihn der «Guardian». «Wir können sie an die Ukraine liefern. Wir haben das Geld. Es ist äusserst wichtig.»
Videografik: Das Patriot-Luftabwehrsystem
Videografik: Das Patriot-Luftabwehrsystem
29.06.2023
«Wir arbeiten daran», gibt Jens Stoltenberg mit Blick auf die Patriot-Systeme Schützenhilfe. Wie viele es von denen in Europa gibt, will der Nato-Generalsekretär nicht verraten. Dann sagt er aber doch: «Es sind weniger als 100 in Europa. Aber natürlich hat die gesamte Allianz eine signifikante Zahl von Patriot-Batterien.» Gemeint ist natürlich das riesige US-Arsenal.
Over 100 Patriot air defense systems could be spared from allied stores. #Ukraine is asking for 7. Not 70 out of the 100 — *seven.* There’s no time to waste. 🇺🇸🇩🇪🇯🇵🇬🇷🇪🇸🇳🇱, loan extra #PatriotsForUkrainehttps://t.co/T6lvk2Qc26
Für Wolodymyr Selenskyj ist das ein Grund mehr, darauf zu hoffen, dass sich der Kongress bei der Abstimmung über die Ukraine-Hilfen am 20. April endlich wieder auf Kiew zubewegt.
Ukraine bittet um gleichen Schutz wie für Israel
Warum schützt der Westen die Ukraine nicht so wie Israel? Diese Frage stellt der ukrainische Staatschef Selenskyj in den Raum. Israel, die USA, Grossbritannien, Frankreich und Jordanien hätten gegen die iranischen Angriffe mit Raketen und Kampfdrohnen in der Nacht zum Sonntag gemeinsam gehandelt, und dies «mit maximaler Effektivität», sagte Selenskyj am Montagabend in seiner täglichen Videoansprache.
Mit der Verteidigung Israels habe die freie Welt gezeigt, dass Einigkeit nicht nur möglich, sondern auch hundertprozentig wirksam sei, so der ukrainische Präsident.
Der Iran hatte bei seinem Angriff auf Israel Kampfdrohnen vom Typ Shahed eingesetzt, die auch von den russischen Militärs gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt werden.
«Shaheds am Himmel über der Ukraine klingen genauso wie am Himmel über dem Nahen Osten», sagte Selenskyj. «Die Ballistik schlägt überall gleich zu, wenn man sie nicht abschiesst.»
Nach seinen Worten hätte der europäische Luftraum «schon längst den Schutz erhalten können, den er braucht, wenn die Ukraine von ihren Partnern beim Abschuss von Drohnen und Raketen ähnlich umfassend unterstützt worden wäre».