Finnen und Balten bieten Putin die Stirn «Die wichtigste Verteidigungslinie ist die zwischen unseren Ohren»

Von Philipp Dahm

24.6.2022

USA stellen sich nach Drohungen Russlands hinter Nato-Partner Litauen

USA stellen sich nach Drohungen Russlands hinter Nato-Partner Litauen

Im Streit um die Einschränkungen des Güterverkehrs in die russische Exklave Kaliningrad haben sich die USA schützend vor Litauen gestellt. Nach Moskaus Drohung, dass Russland «auf solche feindseligen Aktionen reagieren» werde, erklärte das US-Auss

22.06.2022

Litauen wehrt sich gegen Moskaus Einschüchterungsversuche, Finnland rüstet sich gegen russischen Einfluss – und Estland sorgt sich ernsthaft um seine staatliche Existenz: Nordosteruopa will Putin die Stirn bieten.

Von Philipp Dahm

24.6.2022

Die Ankündigung Litauens, den Güterverkehr nach Kaliningrad zu beschränken, schlägt in Moskau hohe Wellen: Russische Offizielle reagieren mit mehr oder weniger versteckten Drohungen darauf, was sie eine «Blockade» ihrer Exklave nennen.

Litauens Premierministerin versucht, diese Wogen zu glätten. Der Personenverkehr nach Kaliningrad sei von den Massnahmen nicht betroffen, versicherte Ingrida Simonyte. Die Einschränkungen beim Warenverkehr würden sich ausserdem auf Stahl und andere Metalle beschränken.

«Litauen hält sich an die Sanktionen, die die EU gegen Russland für seine Aggressionen und seinen Krieg in der Ukraine erlassen hat», erklärt Simonyte. Die Massnahmen seien im März beschlossen worden und eine dreimonatige Übergangszeit verstrichen, weshalb Litauen nun reagieren müsse. Ab August und Dezember werden weitere EU-Sanktionen hinzukommen – etwa auf Luxusgüter oder Öl.

Wladimir Putins Politik der Einschüchterung zeigt in Nordosteuropa Wirkung: Um die Suwalki-Lücke in Litauen zu schützen, müsse die Nato ihre Präsenz im Baltikum erhöhen, fordert die Premierministerin. Und Litauens Präsident bringt am 22. Juni eine Erhöhung der eigenen Truppenstärke und des Wehretats ins Spiel.

«Das alles würde von der Landkarte getilgt werden»

«Wir reden von Hunderten Millionen [für das Aufstellen einer neuen Brigade]. Das erlaubt mir, über die Notwendigkeit zu reden, den Wehretat auf drei Prozent [des Brutto-Inlandsprodukts] in den kommenden Jahren zu steigern», sagt Gitanas Nauseda. Unterstützung erhält Litauen aus Estland, das Russlands aggressives Vorgehen gegen das baltische Land anprangert.

Litauens Präsident Gitanas Nauseda (links) und der Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts vorne) am 7. Juni in Pabrade: Deutschland stockt auf Bitte von Vilnius die Bundeswehr-Präsenz im Land auf 3000 Soldaten auf.
Litauens Präsident Gitanas Nauseda (links) und der Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts vorne) am 7. Juni in Pabrade: Deutschland stockt auf Bitte von Vilnius die Bundeswehr-Präsenz im Land auf 3000 Soldaten auf.
AP

Doch Kaja Kallas sorgt sich mit Blick auf einen russischen Angriff auch um ihren eigenen Staat: «Diejenigen von ihnen, die einmal [unsere Hauptstadt] Tallinn besucht haben und die Altstadt und Jahrhunderte alte Kultur, die es dort gibt, kennen – das alles würde von der Landkarte getilgt werden – inklusive unseres Volks, unserer Nation.»

Moskau dürfe nicht unterschätzt werden, warnt Kallas im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Associated Press: «Ich höre Gerede, dass es keine Bedrohung mehr gibt, weil [Russlands Armee] erschöpft sei.» Ihre Reaktion: «Nein, ist sie nicht. Sie haben genügend Truppen, die kommen könnten. Sie zählen nicht die Leben, die sie lassen. Sie zählen nicht die Geschütze, die sie verlieren.»

Verhandeln? «Nicht wieder die gleichen Fehler»

Putin könne den Druck noch lange aufrechterhalten, glaubt die 45-Jährige. Der Westen müsse deshalb im Umgang mit dem Kreml-Chef Konsequenz an den Tag legen. «Für uns ist es wichtig, dass wir nicht wieder die gleichen Fehler machen wie bei der Krim, dem Donbass, Georgien. Wir haben den gleichen Fehler drei Mal gemacht, indem wir gesagt haben, Verhandlungen oder ein ausgehandelter Frieden seien das Ziel.»

«Von der Landkarte getilgt»: Estlands Premier Kaja Kallas (Mitte) am 30. Mai in Brüssel im Gespräch mit ihren Amtskollegen, der Finnin Sanna Marin und dem Italiener Mario Draghi.
«Von der Landkarte getilgt»: Estlands Premier Kaja Kallas (Mitte) am 30. Mai in Brüssel im Gespräch mit ihren Amtskollegen, der Finnin Sanna Marin und dem Italiener Mario Draghi.
EPA

Finnland, das traditionell enge Beziehungen zum Baltikum pflegt, rüstet sich ebenfalls dafür, Gegenwind aus dem Osten zu bekommen. Dass Helsinki zusammen mit Stockholm bald in die Nato aufgenommen wird, ist nur eine Frage der Zeit: Die Türkei, die den Beitritt noch blockiert, verhandelt derzeit mit Finnland und Schweden, die härter gegen Kurden vorgehen sollen. Die USA fungieren im Hintergrund als Vermittler.

Gerade Finnland wäre ein Pfund für das westliche Bündnis: Es teilt eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland, von der aus die einzige russische Verbindungstrasse zur Halbinsel Kola bedroht werden kann, auf der es viele wichtige Militär-Einrichtungen gibt. Gegen versuchte Einflussnahme auf dem eigenen Gebiet geht Helsinki rigoros vor.

Finnland als «dicker Brocken»

Gerade erst wurde der Verkauf von Land in der Nähe des Flughafens von Rovaniemi an einen Russen gestoppt – aus Gründen der nationalen Sicherheit. Das hat das Militär bestätigt, das sich gut gewappnet sieht, falls ein Nachbar angreifen sollte: «Die Ukraine ist ein dicker Brocken, und Finnland wäre das auch», versichert General Timo Kivinen der Nachrichtenagentur Reuters.

In Sachen Artillerie ist Finnland – hier feuert eine M-46 – gut bestückt, doch die Streitkräfte wollen auch 1000 bis 2000 Drohnen beschaffen.
In Sachen Artillerie ist Finnland – hier feuert eine M-46 – gut bestückt, doch die Streitkräfte wollen auch 1000 bis 2000 Drohnen beschaffen.
Commons/Levvuori

«Wir haben unsere militärische Verteidigung systematisch und präzise für den Typ von Kriegsführung entwickelt, der dort geführt wird», erklärt der Chef der finnischen Streitkräfte mit Blick auf die Ukraine. «Mit der massiven Nutzung von Feuerkraft, gepanzerten Kräften und auch der Luftwaffe.» Im Falle eines Kriegs könnte Finnland, wo es nach wie vor eine Wehrpflicht gibt, inklusive Reservisten eine Million Soldaten aufstellen.

Etwaige Invasoren hätten auch mit der Zivilbevölkerung zu kämpfen: Eine Umfrage des Verteidigungsministeriums ergibt am 18. Mai, dass 82 Prozent der Teilnehmenden ihr Land im Kriegsfall verteidigen würden. Das sei eine der grössten Stärken, glaubt General Kivinen: «Die wichtigste Verteidigungslinie ist die zwischen unseren Ohren, wie der Krieg in der Ukraine derzeit beweist.»

Erklärt: Putins Problem mit der Nato

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Die Ukraine verlangt Russlands Armee mehr ab als vom Kreml erwartet. Doch das eigentliche Ziel Wladimir Putins ist das Zurückdrängen der Nato: Die europäische Tiefebene ist der Schlüssel zu Moskaus Sicherheit.

14.06.2022